„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Mit diesen Worten beschreibt unser Grundgesetz, dessen
75. Geburtstag wir im kommenden Jahr feiern, zugleich Chancen und Anforderungen an unser demokratisches Miteinander. Volkssouveränität und Rechtstaatlichkeit sind die beiden tragenden Säulen unserer Demokratie. Sie schützt uns als Bevölkerung vor der Herrschaft einzelner, denn sie überträgt die Entscheidungsgewalt auf alle ihre Staatsbürger*innen. Darum sind wir alle aktiv gefordert, uns zu informieren, uns eine Meinung zu bilden und diese bei Wahlen zum Ausdruck zu bringen. Zu den demokratischen Spielregeln gehört es, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren, Auseinandersetzungen mithilfe der Rechtsprechung friedlich auszutragen und Andersdenkende mit Respekt zu behandeln. Unser Grundgesetz legt nicht nur das Fundament für eine formale Demokratie, sondern ist auch eine freiheitlich-demokratische Grundordnung mit unantastbaren Prinzipien.
Unsere Demokratie ist gefährdet
Die Bundesrepublik hat Erfolgsgeschichte geschrieben, trotz oder gerade wegen zahlreicher Krisen, die wir überwunden haben. Allgemein steigender Wohlstand ermöglichte es, geringere Einkommen zu stärken und die Bandbreite der Einkommensgruppen nicht übermäßig auseinander klaffen zu lassen. Doch der freiheitlich-demokratische Grundkonsens in unserer Bevölkerung schwindet und wird von extremistischen und populistischen Kräften sogar vollständig abgelehnt. Das bedroht den Fortbestand unserer Demokratie.
Die Gründe hierfür sind zahlreich: wirtschaftliche Unsicherheit, soziale Ungleichheit und Zukunftssorgen – Menschen, die davon betroffen sind oder Angst vor dem sozialen Abstieg haben, sind – selbst, wenn diese unbegründet ist – dem politischen System gegenüber besonders kritisch. Ein zunehmend breites Spektrum an Meinungen und Lebensstilen, die jeweils für sich das moralisch Gute und Richtige proklamieren, erschwert die Identifikation und trägt zur Polarisierung der Gesellschaft bei. Wir müssen auch beobachten, dass im Rahmen dieser Entwicklung eine Mehrheit der Bürger*innen, die die Demokratie bejahen, sich immer mehr aus dem politischen Raum zurückzieht.
Auch die Medienlandschaft hat sich stark verändert: Immer mehr Menschen beziehen ihre Informationen immer seltener aus der ausgewogenen kritischen Berichterstattung des unabhängigen Journalismus, sondern aus Quellen, die ihre Ansichten zu bestätigen scheinen. Soziale Medien beschleunigen dabei die Verbreitung von Unwahrheiten und lassen diese schwer wieder einfangen. Unzureichende Bildung und mangelnde Informationskompetenz machen anfällig für Fehlinformationen, Verschwörungstheorien und einfache Erklärungen, die nur scheinbar Antworten auf komplexe Problemlagen bieten.
Demokratie ist nicht selbstverständlich und muss geübt werden
Die skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen sind nicht die Folge einer Schwäche der Demokratie. Unsere Demokratie ist nur so stark, wie wir sie gestalten. Das sollte für uns Anspruch und Herausforderung sein, unsere Verantwortung als Staatsbürger*innen wahrzunehmen. Tun wir dies nicht, laufen wir Gefahr, die Freiheiten und Rechte, die wir seit Jahrzehnten genießen können, leichtfertig an jene Kräfte zu verlieren, die diese nicht achten. Wir müssen alles Erforderliche tun, damit Demokratie funktionieren kann. Dabei gilt es auch Menschen zu gewinnen, die bislang wenig demokratisches Bewusstsein haben. Demokratie lebt vom Mitmachen.
Demokratie ist unser aller Aufgabe
Als demokratisch verfasster, katholischer Sozialverband bekennen wir uns bei KOLPING zu den Werten des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und nehmen gesellschaftliche und politische Verantwortung wahr. Diese Werte gelten für alle internen Entscheidungsprozesse: KOLPING lebt Demokratie.
KOLPING fördert politisches Engagement und unterstützt die parlamentarische Arbeit sowie andere Formen gesellschaftlicher Teilhabe. Die Anerkennung der Würde aller Menschen sowie die Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz sind für uns unverhandelbar. Für uns sind gleichberechtigtes und der Chancengleichheit verpflichtetes Handeln unverzichtbar.
Extremismus – in welcher Form auch immer – hat in unserer Mitte keinen Platz. Wir bieten den Gegner*innen der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung keinen Raum, um für Realitätsverweigerung, verfassungsfeindliche Ziele sowie extremistisches, islamistisches, nationalistisches, antisemitisches oder rassistisches Gedankengut zu werben. KOLPING positioniert sich in Stellungnahmen klar gegen derartige Tendenzen. Wir rufen dazu auf, wachsam gegenüber Gefährdungen der Demokratie zu sein und Haltung zu zeigen, sei es gegenüber Extremismus oder Desinformation.
KOLPING setzt sich aktiv für politische Bildung und eine sachliche Auseinandersetzung ein, um die Bürger*innen zu befähigen, fundierte Entscheidungen zu treffen, die Grundprinzipien der Demokratie zu verstehen und politischem Desinteresse entgegenzuwirken. Mit unseren zahlreichen Bildungseinrichtungen und -veranstaltungen tragen wir maßgeblich dazu bei. Kürzungen in der politischen Bildung und bei der Jugendverbandsarbeit durch die aktuelle Regierung schaden den Bemühungen um Stärkung der Demokratie.
Sozialstaatliches Handeln ist wesentlich für die Stabilität der Demokratie. Wir handeln solidarisch und setzen uns für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ein, um Spaltungen zu überwinden und die Grundwerte der Demokratie zu stärken.
Wir ermutigen zur aktiven Teilhabe am demokratischen Prozess durch die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen. Zivilgesellschaftliches Engagement in Organisationen und Initiativen sowie in neuen Formaten, bei Demonstrationen und friedlichem Protest helfen, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten und die eigenen Anliegen einzubringen. Wir rufen dazu auf, die anstehenden Europa- und Landtagswahlen zu nutzen, um der eigenen demokratischen Haltung Ausdruck zu verleihen und dabei diejenigen Kräfte zu unterstützen, die sich nachdrücklich für Frieden, Demokratie, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen.