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Der Palmsonntag – ein Kipppunkt?

Geistlicher Impuls des Kolping-Bundespräses Hans-Joachim Wahl zu Palmsonntag

Die Stimmung kippt: erst „Hosanna, dem Sohne Davids!“, dann „Ans Kreuz mit ihm!“ – am Palmsonntag kommt beides ins Wort. Wie in einer Ouvertüre klingen alle Motive der Tage vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi bereits am ersten Tag der Woche an.

Der, dem die Menschen zujubeln, weil er ihre Hoffnungen und die Verheißung der Propheten buchstäblich und leibhaftig erfüllt, geht seinen Weg und endet mit Geißelung, Verhör und Tod am Kreuz. Die Diskussionen, die sein öffentliches Wirken begleitet haben, und die Urteile, die währenddessen durch die führenden Männer gegen ihn gefällt wurden, setzen sich jetzt durch.

Der Kipppunkt ist erreicht. Die Ereignisse, die mit Jubel eröffnet wurden, geraten außer Kontrolle. Die, die mit Jesus sympathisiert haben, kippen selbst und verschwinden nach und nach aus dem Blick des erzählenden Evangelisten: Judas verrät Jesus, bei seiner Festnahme laufen alle Jünger weg, und Petrus leugnet, Jesus zu kennen. Beide bereuen ihr Tun später bitter. Andere lassen bis zum bitteren Ende nicht davon ab, Jesus zu verhöhnen. Über den Tod Jesu hinaus wird das Grab bewacht, weil die Befürchtung besteht, seine Jünger könnten eine Auferstehung vortäuschen. Als schließlich ein gewaltiges Erdbeben die Ereignisse beschließt, erkennen die, die Jesus bewachen: „Wahrhaftig, Gottes Sohn war dieser!“

Die Passion Jesu zeigt auf, was geschehen kann: die Ereignisse können eine unvorhersehbare Wendung nehmen und unkontrollierbar werden, „wenn an einem Punkt oder Moment, an dem eine vorher geradlinige und eindeutige Entwicklung durch bestimmte Rückkopplungen abrupt abbricht, die Richtung wechselt oder stark beschleunigt wird.“ So beschreibt WIKIPEDIA den Begriff „Kipppunkt“. Und die Lesungen des Palmsonntags lenken unseren Blick auf Jesus, der nicht kippt, sondern konsequent bei seinem Weg bleibt: dem Knecht Malchus gibt er das Ohr zurück, das einer mit dem Schwert abgehauen hatte, vor Pilatus bleibt er souverän bei seinen Aussagen und gibt sich bis zum letzten hinein in die Geschehnisse, ohne Gewalt anzuwenden, wohl aber mit dem Gebet aus den Psalmen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46).  Aber selbst dieses Wort, mit dem Psalm 22 beginnt, ist mehr als nur eine Frage. Es mündet in das Bekenntnis zu Gott, der treu zu seinem Wort steht, Vertrauen nicht enttäuscht und Leben rettet.

 

Wenn etwas am Palmsonntag kippt, dann sind es Vorstellungen, die die Menschen von Jesus als König und Messias hatten. Es kippen auch die Vorstellungen, die Menschen sich vom Handeln Gottes gemacht hatten: „Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Er ist doch der König von Israel! Er soll jetzt vom Kreuz herabsteigen, dann werden wir an ihn glauben. Er hat auf Gott vertraut,

der soll ihn jetzt retten, wenn er an ihm Gefallen hat; er hat doch gesagt: Ich bin Gottes Sohn.“ (Mt 27,42 f.) Heute lehrt der Blick auf Kirche und Welt, wie schnell Vorstellungen von Macht und Autorität schnell kippen und erschüttert werden können – vom Klimawandel und seinen Folgen ganz zu schweigen.  

 

Schauen wir auf die Haltung Jesu wie er uns auf dem Esel entgegenkommt, auch wenn das Bild nicht in die Zeit zu passen scheint: Jesus setzt nicht auf Autorität oder Hierarchien, er spricht noch nicht einmal ein Machtwort, das die Ereignisse drehen könnte. Jesus bleibt gewaltlos, er ist getragen von einem grenzenlosen Vertrauen auf Gott und geht konsequent seinen Weg.  Dieser Weg der Hingabe stellt sich heraus als der Weg, der zum Leben führt. Adolph Kolping sagt es so:

„Damit, dass Christus am Kreuze starb ..., waren die Menschen nicht aller Tätigkeit entbunden, keineswegs; vielmehr tritt jetzt erst die Forderung an sie heran, sich an den anzuschließen, der sich sühnend in ihre Mitte gestellt und der Versöhnung geworden für ewige Zeiten.“

 

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Bild: Miguel Angel Villar auf pixabay.com