Yonca Dege arbeitet als Research Fellow bei d|part und forschte in ihrer Doktorarbeit unter anderem zum Thema Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Geflüchteten. Bereits in einem Vernetzungstreffen des Netzwerks für Geflüchtete lieferte Yonca Dege den Teilnehmenden spannenden Input. Hier im Interview erklärt sie unter anderem, worauf es bei der Zusammenarbeit auf Augenhöhe ankommt und welche Erfahrungen sie in der Zusammenarbeit mit Geflüchteten gemacht hat.
Du arbeitest als Research Fellow bei d|part, was genau macht d|part und wofür setzt du dich ein?
Yonca Dege: d|part ist ein ThinkTank für politische Partizipation und unser Ziel ist es, empirische Forschung für den gesellschaftlichen Diskurs und die politische Debatte nutzbar zu machen. Damit möchten wir die Zivilgesellschaft wie auch die Politik informieren. Wir haben verschiedene Projekte, die alle etwas mit politischer Beteiligung zu tun haben.
Haben eure Projekte auch etwas mit Migration oder Integration zu tun?
Ja, wir haben zum Beispiel 2021 die Studie ,,Wer kann mitmachen?“ veröffentlicht. Darin geht es um die politische Beteiligung, Selbstidentifikation und Rassismus-Erfahrungen von Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland. Wir haben dabei Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte zu ihrem politischen Engagement und den Hürden, die ihnen dabei begegnet sind, befragt.
Welche Erkenntnisse konntet ihr dabei erlangen?
Eine der wesentlichen Erkenntnisse aus unserer Studie war, dass Menschen mit Migrationsgeschichte sich überdurchschnittlich häufig mehr politisch engagieren möchten, verstärkt, wenn sie selbst schon rassistische Diskriminierung erfahren haben. Auch ergab unsere Umfrage, dass insbesondere Menschen mit Migrationsgeschichten aufgrund von Diskriminierungserfahrung ihr politisches Engagement eingestellt haben.
Habt ihr in der Studie auch Erkenntnisse zum Thema Zusammenarbeit auf Augenhöhe sammeln können?
Aus diesem Projekt und den daraus resultierenden Daten kann ich keine großen Erkenntnisse darauf schließen, dafür habe ich im Zuge meiner eigenen Forschung für meine Dissertation Erfahrungen zum Thema Zusammenarbeit auf Augenhöhe gesammelt.
Zu welchem Thema hast du promoviert und woraus bestand deine Forschung?
In meiner Promotion ging es um ökonomische Aktivitäten von syrischen Geflüchteten in der Türkei. Dabei habe ich lange und ausführliche Interviews mit Geflüchteten vor Ort in der Türkei geführt. In den Interviews ging es unter anderem um die Fluchtgeschichte, also warum und wie sie in die Türkei gekommen sind, wie die Suche nach Arbeit verlief und wie sie sich finanzieren. Generell ging es viel um Beweggründe, Motivation und eigene Wahrnehmungen sowie Erfahrungen.
Worauf lag dabei dein Fokus?
Mein Fokus lag darauf, dass es immer viele Annahmen und auch Kategorisierungen gibt. Also zum Beispiel auf der einen Seite die Geflüchteten und auf der anderen Seite das Gastland. Dabei kann man die beiden Parteien eigentlich nicht klar voneinander trennen und sie sind miteinander verwoben. Es werden auch immer viele Annahmen getroffen darüber, was Geflüchtete brauchen und was ihre Motivationen sowie Beweggründe sind. Diese Annahmen stimmen leider nicht immer.
Hast du schon mal erlebt, dass in der Zusammenarbeit mit Geflüchteten falsche Annahmen getroffen wurden?
Ja, ich habe zum Beispiel in der Türkei mitbekommen, dass eine Organisation, die auf die Unterstützung von Geflüchteten spezialisiert ist, elektrische Heizkörper an die Geflüchteten verteilt hat. Die Heizkörper konnten dann aber gar nicht benutzt werden, weil der Strom entweder zu teuer ist und mit Kohle geheizt wurde oder es gar nicht genug Steckdosen gab, um sie anzuschließen. Daran sieht man, dass auch in diesem Fall falsche Annahmen getroffen wurden über das, was die Geflüchteten brauchen, anstatt sie einfach vorher zu fragen.
Das ist wahrscheinlich keine Seltenheit, dass einfach Annahmen getroffen werden und danach gehandelt wird, oder?
Auch in Deutschland habe ich von solchen Fällen gehört. In Berlin hat ein Projekt beispielsweise für geflüchtete Frauen und Kinder aus Syrien organisiert, dass sie an einem Ausdruckstanz teilnehmen können. Die Frauen und Kinder standen dann da, haben zugeschaut und dachten ,,Was machen wir hier eigentlich?“. Eigentlich hätten sie die Zeit lieber in Sprach- oder Integrationskurse investiert, wollten aber den Organisator:innen des Projekts gegenüber nicht unhöflich sein.
Hast du einen Tipp, wie man falschen Annahmen, was die Bedürfnisse angeht, entgegenwirken kann?
Es klingt zwar banal, aber das wichtigste ist Kommunikation. Oft herrscht auch die Annahme, dass es geflüchteten Menschen automatisch schlecht geht und man entwickelt eine mitleidende Haltung. Anstatt anzunehmen, was sie benötigen und wie es ihnen geht, sollte man sie einfach fragen. Wie siehst du das? Siehst du dich als geflüchtete Person, die auf Hilfe angewiesen ist? Hast du das Gefühl, du wirst hier schlecht behandelt? Dabei bekommt man oft ganz andere Antworten, als erwartet. Deshalb lag der Fokus meiner Forschung vor allem auf der Perspektive der Geflüchteten.
Kannst du diese Perspektive genauer beschreiben?
Häufig werden Menschen mit Fluchthintergrund auf ihren Status als Flüchtling beschränkt und es wird vergessen, dass sie auch einfach Menschen sind, die zwar geflohen sind, das ist aber nur ein Teil ihrer Geschichte und es sind noch andere wichtige Dinge in ihrem Leben passiert. Sie haben auch Wünsche und Ambitionen auf ein gutes Leben, mehr als nur Überleben. Und leider wird das teilweise ausgeblendet oder nicht so in den Fokus gestellt, wenn man mit ihnen arbeitet.
Das ist eine gute Überleitung zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Geflüchteten.
Genau. In der Zusammenarbeit mit Geflüchteten ist es wichtig, dass man am Anfang erstmal nur zuhört und fragt, was die andere Person braucht oder sich wünscht. Dabei kann man auch Angebote machen, was alles möglich ist. Teilweise kann darauf noch nicht geantwortet werden, weil der Gegenüber vielleicht noch andere Dinge verarbeitet und sich deshalb noch nicht damit befassen kann. Das ist dann auch in Ordnung, Hauptsache man zeigt Interesse und Empathie. Eine wichtige Botschaft dabei sollte sein: Wir möchten dich unterstützen, aber wir möchten nichts vorwegnehmen und über deinen Kopf hinweg entscheiden.
Wahrscheinlich ist der Bedarf an Unterstützung auch von Person zu Person unterschiedlich.
Genau, jeder Mensch ist anders und hat andere Dinge auf der Flucht oder im Heimatland erlebt. Deshalb brauchen sie auch unterschiedlich lange, das Erlebte zu verarbeiten. Teilweise stößt man dabei an seine Grenzen, wenn es darum geht, ihnen zu helfen. Besonders in solchen Situationen ist es wichtig Empathie zu zeigen, Unterstützungsangebote weiter anzubieten, aber keinen Druck aufzubauen. Man sollte sich auch immer überlegen, wie stark Menschen sind, die geflüchtet sind und es bis hierher geschafft haben. Was für ein Kraftakt dahinter steckt. Diese Menschen brauchen Unterstützung, sind aber nicht bedürftig.
Hast du weitere Tipps für die Zusammenarbeit mit Geflüchteten?
Wir sollten uns keine bestimmten Reaktionen erhoffen. In dem Beispiel mit dem Ausdruckstanz sollten wir nicht enttäuscht sein, wenn die Geflüchteten nicht die erwartete Begeisterung zeigen oder kein Interesse an dem Tanz haben. Es ist falsch zu denken ,,die zeigen keine Dankbarkeit“, sondern wir sollten eher hinterfragen, warum sie nicht dankbar sind. Denn vielleicht ist es gar nicht das, was sie gerade brauchen. Und genau das sollten wir ihnen auch deutlich machen: Wir haben keine Erwartung an Reaktionen von euch, es ist okay, wenn ihr ein Angebot nicht annehmen möchtet.
Denkst du, dass Menschen mit Fluchthintergrund häufig auch an Angeboten aus Höflichkeit teilnehmen, obwohl sie eigentlich etwas ganz anderes benötigen?
Ja, genau solche Situationen habe ich schon mitbekommen. Ein junger Syrier, mit dem ich in der Türkei zusammengearbeitet habe, ist mittlerweile in Deutschland und hat mir erzählt, dass er anfangs immer an Ausflügen und Programmpunkten teilgenommen hat, weil er dachte, dass es von ihm erwartet wird und er sich nicht undankbar zeigen wollte. Ein solches Phänomen ist nicht selten, denn häufig handeln Geflüchtete den Freiwilligen zuliebe und nehmen an deren Angeboten teil, um nicht undankbar zu scheinen. Deshalb ist es wichtig Möglichkeiten zu geben, ihre Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken. Und das auch immer wieder wiederholen und sie immer wieder ermutigen und mit einbeziehen. Ein regelmäßiger Check-In bei dem man fragt: Macht das gerade überhaupt Sinn für dich? Oder möchtest du das alles hier gerade gar nicht und stellst dir etwas anderes vor? Bedarfsgerechte Unterstützung ist das A&O beim Thema Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Die Fragen stellte Sophia Büttner.