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Netzwerk für Geflüchtete

Interview mit Vasyl Savka – Kolping Ukraine

Der Geschäftsführer des Kolpingverbandes in der Ukraine, Vasyl Savka, lebt in der Region Czernowitz, im Westen der Ukraine. Im Interview mit dem Kolping-Netzwerk für Geflüchtete schildert er die Situation vor Ort und erklärt, worauf es jetzt ankommt und welche Spenden benötigt werden.

Hallo Vasyl, wie geht es dir und wie ist die Lage vor Ort?

Es geht mir soweit gut. Wir hatten wieder eine unruhige Nacht und zweimal Luftalarm. Das heißt nicht unbedingt, dass es eine unmittelbare Gefahr gibt und eine Rakete hier einschlägt, aber man weiß, dass eine Rakete auf dem Weg ist. Seit dem Anfang der aktiven Phase des Krieges ist hier in der Region Czernowitz noch nichts passiert und es ist relativ sicher. Außer unserer Region wurden schon alle Regionen in der Ukraine von Raketen getroffen.

Mit der aktiven Phase meinst du die Zeit seit dem 24. Februar, richtig?

Genau, denn der Krieg hat schon 2014 in Teilen der Ukraine angefangen und mehreren tausend Ukrainer:innen das Leben gekostet. Am 24. Februar ist er dann auf die ganze Ukraine übergeschwappt. Auch wenn ich mittlerweile nicht mehr von Krieg spreche, sondern von Terror: Am 27. Juni wurde ein Einkaufszentrum ohne Grund mit einer Rakete angegriffen. Es gab dort weder Waffen noch Soldat:innen, sondern nur Zivilist:innen. Das war reine Willkür.

Bei all den schrecklichen Ereignissen, ist es bewundernswert, was die ukrainische Armee leistet.

Auf der einen Seite ist es bewundernswert, auf der anderen Seite ist es selbstverständlich. Wenn die Ukraine den Krieg verliert, wird es keine Ukraine mehr geben. Wir kämpfen um unsere Existenz. Putin und die sogenannten liberalen Russen wollen die Ukraine als unabhängiges Land nicht akzeptieren und deshalb erobern.

Wie sieht es gerade in anderen Regionen der Ukraine aus?

Im Osten und im Süden des Landes ist die Situation sehr kompliziert. Die ukrainische Armee kämpft so mutig, wie sie kann, aber einem massiven Bombenangriff kann sie nicht widerstehen. Vor ein paar Tagen mussten wir eine Stadt im Donbass verlassen, um nicht eingekesselt und total vernichtet zu werden. Auch in Charkiw attackiert die russische Armee jeden Tag die Stadt. Sie wollen mit aller Gewalt den Widerstand der ukrainischen Armee brechen und unsere Einheiten vernichten.

Alle leben unter der Gefahr von Raketenangriffen. Ich bekomme teilweise mit, wie die Leute in den hart umkämpften Städten ohne Wasser, medizinische Versorgung, Essen und ohne die Möglichkeit, die Stadt zu verlassen, überleben müssen. Es ist unvorstellbar, unter welchen Bedingungen die Menschen, zum Beispiel im Osten des Landes, überleben müssen.

Die Situation hat jetzt schon und wird noch mehr Auswirkungen auf die ganze Welt haben.

Das Ganze wird noch schlimmer, da jetzt die Erntezeit kommt und wir durch den Krieg nicht ernten können. Das wird früher oder später eine massive Auswirkung auf die ganze Welt haben. Zum Beispiel auf Afrika, die bis zu 75 % ihres Weizen-Imports aus der Ukraine beziehen. Durch den Krieg wird es dort nicht mehr genug Weizen für alle geben und die Hungersnot wird noch größer.

Wie können wir euch unterstützen, welche Spenden braucht ihr am meisten?

Vor allem Konserven, da das Essen knapp wird und es gerade darum geht, die Grundversorgung irgendwie zu gewährleisten. Außerdem benötigen wir dringend Medikamente, Wassertabletten, und Verbandsmaterial. Wir leiten das dann mithilfe von Militär oder der Polizei weiter in die Kriegsgebiete, um die Versorgung der Menschen dort zu ermöglichen.

Vor ein paar Monaten haben wir mehrere Tausend Filterflaschen gekauft. Dazu habe ich so viele Rückmeldungen wie noch zu keinem der Hilfsgüter bekommen, denn wir haben damit sehr viele Leben gerettet. Die Wasserqualität ist oft so schlecht, dass die Leute noch eher vom Wasser als vom Krieg sterben. In den hart umkämpften Regionen trinken die Leute teilweise aus Verzweiflung Heizungswasser, aus Flüssen oder Pfützen. Das Wasser ist voll mit Bakterien und es gibt nicht genügend Medikamente, diese zu bekämpfen.  

Hast du das Gefühl, dass die Hilfe aus anderen Ländern seit Kriegsbeginn abgenommen hat?

Im letzten Monat habe ich einen Rückgang der Hilfe gemerkt. Aber ich denke das ist normal, dass am Anfang die Euphorie sehr hoch ist zu helfen und es mit der Zeit etwas abnimmt. Trotzdem ist die Spenden- und Hilfsbereitschaft noch immer hoch. Die Menschen verstehen, dass wir um die Existenz kämpfen und wir deshalb keine Kleidung, sondern Hilfsgüter zum Überleben brauchen.

Wie unterstützt du die Geflüchteten vor Ort?

Wir haben verschiedene Projekte zur Unterstützung gestartet. Bereits am 28. Februar haben wir die Geflüchteten mit heißem Essen unterstützt und eine Suppenküche gestartet. Wir verteilen jeden Tag 450 warme Mittagessen, bis heute sind das insgesamt circa 50 000 Mittagessen.

Außerdem haben wir in unseren Immobilien, die wir für verschiedene Projekte angemietet hatten, Unterkunftsmöglichkeiten geschaffen. In Czernowitz haben wir ein weiteres Projekt begonnen und in Schulen kostenlos Räume zur Verfügung gestellt bekommen. Hier wollen wir eine Art Hostel für Geflüchtete schaffen. Mithilfe der Spenden von Kolping International führen wir Renovierungsarbeiten durch und schaffen somit noch mehr Unterkunftsmöglichkeiten. Außerdem schaffen wir mit den Spenden zwei Transporter an, mit denen wir die Hilfsgüter in die Kriegsgebiete fahren möchten.

Wie hat sich eure Stimmung seit Kriegsbeginn verändert?

Mittlerweile verstecken sich viele nicht mehr vor Raketen, weil wir wissen, dass uns unsere Keller und Garagen vor der Rakete nicht schützen würden. Wir haben gelernt, mit der Angst zu leben. Der Bunker ist zu weit weg von meinem Haus und es gibt nicht genug Plätze für alle Einwohnenden von Czernowitz. Deshalb gehen viele trotz Raketenalarm ihren Tätigkeiten weiter nach, ohne sich in Sicherheit zu bringen.

Wie kann man euch am besten unterstützen?

Nicht nur die Zivilist:innen leiden unter Hunger und der Not, sondern auch die ukrainischen Soldat:innen. Deshalb brauchen wir auch Essen und Hilfsgüter für Soldat:innen. Denn wenn sie aufgeben, wird der Krieg schnell zu Ende sein und es wird keine Ukraine mehr geben. Wir unterstützen die Zivilist:innen so gut wie möglich, aber brauchen auch starke Unterstützung für die Armee. Es ist unsere christliche Pflicht, auch ihnen zu helfen.

Ich würde gerne eine Botschaft an Kolping in Deutschland senden und zwar nur Worte der Dankbarkeit. Denn ohne euch wäre das alles nicht möglich und es gäbe keine Ukraine mehr. Von Herzen vielen Dank.

 

Die Fragen stellte Sophia Büttner

Bild: privat