Anfang 2017 besaßen 95 Prozent der deutschen Haushalte ein Mobiltelefon, 90 Prozent einen Computer, und 91 Prozent der Haushalte hatten einen Internetanschluss (Quelle: Statistisches Bundesamt). Am häufigsten mit Handys ausgestattet waren Haushalte mit Kindern. In vielen Teilen der Welt sieht das ganz anders aus: Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, hat im Dezember 2017 eine Studie vorgelegt, die beschreibt, dass 346 Millionen Jugendliche in Schwellen- und Entwicklungsländern von einer „Informationsarmut“ betroffen sind; sie haben keinen Zugang zum Internet. Demnach ist vor allem die junge Generation in Afrika von der digitalen Welt mit ihren Informationsangeboten ausgeschlossen. Dabei könnten sie gerade in entlegenen Gebieten, in denen der Weg zur nächsten Schule, zur nächsten Stadt zu weit ist, von digitalen Lernangeboten profitieren. Was fehlt sind oft digitale Endgeräte, ein Internetzugang und ausgebildete Lehrkräfte. Entwicklungshilfe muss deshalb hinterfragt werden. Es geht heute nicht mehr alleine darum, dass Menschen genug zu essen haben und ihren Hunger stillen können. Auch der Bildungshunger muss gestillt werden, und das geht am schnellsten über den Zugang zu digitalen Lernangeboten. Wie das gehen kann, zeigt „Jesuite Wordwide Learning“(JWL), eine Initiative des Jesuitenordens für „Hochschulbildung an den Grenzen“. Dazu sagt Pater Peter Balleis SJ in einem Interview auf katholisch.de: „Wir wollen Menschen erreichen, die keinen Zugang zu Bildung beziehungsweise zur höheren Bildung haben. Das sind einerseits Flüchtlinge und Binnen-Flüchtlinge, andererseits aber auch Minderheiten, die isoliert oder in Armenvierteln leben und denen als Gruppe und nicht als Individuen der Zugang zum Studium verbaut ist. Von den weltweit rund 66 Millionen Flüchtlingen sind die meisten von der Bildung ausgeschlossen; nicht einmal ein Prozent hat Zugang zum Studium.“ JWL spricht bei seinen Angeboten vom „blended online learning“, was bedeutet, dass die Ausbildung vor allem über das Internet läuft. Zusätzlich gibt es vor Ort Lernzentren mit Lehrkräften, zu denen die Studierenden kommen und in denen sie Computer und das Internet nutzen können. Ergänzend stattet JWL die Studierenden jetzt mit preiswerten Tablets aus, damit die jungen Menschen auch zuhause lernen können. Die Studierenden starten meist mit Englischkursen und können dann ein Studium aufnehmen. JWL arbeitet hier mit Jesuiten-Universitäten und -Colleges weltweit zusammen und mit verschiedenen Hochschulen. Dazu ergänzt Pater Peter Balleis auf katholisch.de: „Derzeit steigen 200 unserer Absolventen in den Flüchtlingslagern in Kenia und Malawi in den Online-Bachelor-Studiengang ein.“
Noch haben in Afrika nur 18 Prozent der Haushalte Zugang zum Internet. Doch der Kontinent schläft nicht, sondern afrikanische Start-ups entwickeln bereits Lösungen, die auf die länderspezifischen Anforderungen des Kontinentes zugeschnitten sind. Das bekannteste Beispiel ist M-Pesa, ein von der kenianianischen Mobilfunkfirma Safaricom entwickeltes System, mit dem via Mobiltelefon Geld übertragen werden kann. Die Initiative „Make-IT in Afrika“ im Auftrag des Entwicklungshilfeministeriums stellt in ihrer Broschüre „Digital Innovation made in Africa“ bemerkenswerte Initiativen und Start-ups vor. Beispiel Kamerun: Dort ist der Weg für Herzpatienten zum nächsten Herzspezialisten oft zu weit. Geschulte Gesundheitshelfer können mit dem CardioPad und anschließbaren EKG-Sensoren Patienten untersuchen und alle gemessenen Daten per Mobilfunk an einen Spezialisten weiterleiten, der dann eine erste Diagnose treffen und über weitere Schritte der Behandlung entscheiden kann.
Zahlreiche Entwicklungen sind bereits in afrikanischen Ländern etabliert. Doch noch immer haben vor allem arme Menschen und Menschen in abgelegenen Regionen keinen Zugang zu Internetangeboten und zu spezifischen Bildungsangeboten. Hier gibt es noch viel zu tun.
Im unten stehenden Beitrag befassen sich Irene Jonda und Winfried Heusinger mit den Chancen der Digitalisierung für Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Auf der gemeinsamen Fachtagung des Kolpingwerkes Deutschland zum Thema „Digitalisierung“ im vergangenen Jahr hat Winfried Heusinger auf Einladung des Bundesfachausschusses „Verantwortung für die Eine Welt“ gesprochen. Auch dort ging er neben den großen Herausforderungen auch auf die Chancen ein, die digitale Angebote für Menschen außerhalb der Industrieländer bieten.
Text: Georg Wahl
Chancen der Digitalisierung in der Schul- und beruflichen Bildung in Schwellen- und Entwicklungsländern, am Beispiel des mobile learning
Der Bildungsfortschritt in vielen Entwicklungsländern steht vor enormen Herausforderungen. Inzwischen gehört es zu den Grundüberzeugungen der meisten Gesellschaften weltweit, dass das Recht auf Bildung universell sein muss. Die massive Ausweitung der Nachfrage auf allen Ebenen, sowohl in der schulischen als auch in der beruflichen Bildung sowie die weit verbreitete wirtschaftliche Stagnation verhindern jedoch einen sichtbaren Erfolg. Diese Situatiuation setzt die Bildungssysteme vieler Schwellen- und Entwicklungsländer enorm unter Druck. Der traditionelle Ausbau und Betrieb der Bildungssysteme in vielen Teilen der Welt wird aufgrund des dramatischen Bevölkerungswachstums vor allem in Afrika und Teilen Asiens in Zukunft kaum möglich sein. Deshalb müssen innovative Lösungsansätze und Methoden gefunden werden.
Beeindruckende Fortschritte der letzten Jahre lassen berechtigte Hoffnung aufkommen, dass technologische Lösungen, die intelligent angewandt werden, einen besseren Bildungszugang, höhere Qualität und niedrigere Kosten pro Lernenden ermöglichen. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) haben heute das Potenzial, Bildungsbarrieren abzubauen und den Erwerb von Fähigkeiten und Wissen zu beschleunigen, um von den Vorteilen und Chancen der Wissensgesellschaft zu profitieren und gleichzeitig die Globalisierung nicht aus den Augen zu verlieren. Lebenslanges Lernen und gezieltes Training für den Arbeitsplatz können nicht auf den traditionellen Unterricht beschränkt werden. Es ist unrealistisch und unbezahlbar, die Lernenden weiterhin zu bitten, jedes Mal, wenn sie lernen wollen/müssen, an einen bestimmten Ort zu kommen. Um der Vielfalt, Komplexität und den sich ändernden Anforderungen an Bildungsdienstleistungen gerecht zu werden, muss sich die Bereitstellung von Wissen über die institutionelle Form hinaus erstrecken und Fernunterricht, Anreicherung von Massenmedien und nonformale Lehr- und Lernmöglichkeiten umfassen.
Während mobile Geräte allgegenwärtig werden, auch und vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern, gibt es ein wachsendes Interesse an den Bildungsanwendungen mobiler Technologien, einem Forschungsbereich, der als „mobile learning“, zu Deutsch: „mobiles Lernen“, bezeichnet wird. Mobiles Lernen bezieht sich auf die Verwendung von mobilen oder drahtlosen Geräten, um unterwegs zu lernen. Typische Beispiele für mobile Geräte sind Smartphones, Tablets, Netbooks, Laptops und persönliche Media Player. Mobile Geräte ermöglichen das Lernen zu jeder Zeit, an jedem Ort und im selbst bestimmten Lerntempo.
Der derzeitige Zustand der Informations- und Kommunikationstechnologien weltweit
Der Zugang zu modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ist weltweit sehr unterschiedlich. Bis jetzt haben die IKT die Kluft zwischen technologiereichen und technologiearmen Ländern, die mit der industriellen Revolution eingeleitet wurde, nicht korrigiert. Nach wie vor hängt der Zugang zu modernen IKT direkt mit der wirtschaftlichen Entwicklung zusammen – je höher das Einkommen der Region, desto größer der IKT-Zugang. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den geografischen Regionen in Bezug auf die IKT-Entwicklung, wie der IKT-Entwicklungsindex zeigt.
Die Verfügbarkeit von Kommunikation wurde in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gesteigert, vor allem durch das Wachstum der Mobiltelefonie und in jüngerer Zeit durch den mobilen Breitbandzugang. Mehr als die Hälfte aller Haushalte weltweit haben jetzt Zugang zum Internet; Haushalte in Industrieländern sind allerdings fast doppelt so häufig online wie in den Entwicklungsländern und mehr als fünfmal so häufig wie in den am wenigsten entwickelten Ländern. Auch ist die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern erwähnenswert. Die von der Internationalen Fernmeldeunion zusammengetragenen Daten legen nahe, dass die digitale Kluft in den entwickelten Ländern relativ gering ist, in Entwicklungsländern jedoch stärker und in den am wenigsten entwickelten Ländern am höchsten ausgeprägt ist. Dort nutzt nur eine von sieben Frauen das Internet, verglichen mit einem Fünftel der Männer. Zudem soll die geschlechtsspezifische digitale Kluft in Afrika in den letzten fünf Jahren weiter zugenommen haben.
Junge Menschen sind häufiger online als die Älteren. Der Anteil der Menschen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren, die online sind, wird weltweit auf über 70 Prozent geschätzt, verglichen mit nur 48 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Konnektivität der jungen Menschen kann daher bestens im Bereich der schulischen und beruflichen Bildung genutzt werden.
Aktuelle Bildungssituation in Subsahara
Weltweit gehen rund 57 Millionen Kinder im Grundschulalter nicht zur Schule. Mehr als die Hälfte dieser Kinder lebt in Subsahara-Afrika und mehr als 20 Prozent in Süd- und Westasien. 54 Prozent der Kinder, die keine Schule besuchen, sind Mädchen. Viele Jungen und Mädchen, die in der Schule eingeschrieben sind, brechen diese früh ab. In Afrika südlich der Sahara absolvieren nur 56 Prozent der Kinder eine vollständige Grundschulbildung. Etwa 774 Millionen junge Menschen (über 15 Jahre) und Erwachsene können weder lesen noch schreiben, und fast zwei Drittel davon sind Frauen. Für sozial benachteiligte Gruppen ist der Zugang zu Bildung besonders schwierig. Dazu gehören neben Mädchen, Frauen und armen Menschen indigene Völker, religiöse, ethnische und sprachliche Minderheiten sowie Menschen mit Behinderungen. Im vergangenen Jahr wuchs die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents um 30 Millionen. Bis zum Jahr 2050 werden die jährlichen Zuwächse 42 Millionen Menschen pro Jahr übersteigen und die Gesamtbevölkerung wird sich laut UN auf 2,4 Milliarden Menschen verdoppelt haben.
Beispielhafte Ansätze in Kenia – Mobile Innovation für Bildung
Von allen Regionen weist Subsahara-Afrika die höchsten Bildungsausschlüsse auf. Um dieser Herausforderung zu begegnen, entwickelte das in Kenia ansässige Technologie-Start-up Eneza Education (www.enezaeducation.com) eine Lösung, die Lektionen mitsamt Beurteilungen zu Bildungszwecken über digitale Kanäle liefert, von einfacher Verbindung über herkömmliche Mobiltelefone (keine Smartphones) bis hin zu mobilem Internet und komplexen Webplattformen.
Ab Januar 2018 nutzten 99 Prozent der Eneza-Benutzer den Dienst auf der SMS-Plattform zusätzlich zu anderen mobilen Plattformen. Das Mobile Learning-Produkt von Eneza Education & Safaricom wurde 2018 sogar als „Best Mobile Innovation for Education“ mit einem Global Mobile Award ausgezeichnet. Das Produkt von Eneza heißt „Shupavu291“ und ist eines der drei Gewinner aus Afrika. „Shupavu291“ ist ein virtuelles Klassenzimmer und auf jedem Mobiltelefon verfügbar. Über SMS können auf einfachsten Telefonen interaktive, Chat-basierte Lektionen und Beurteilungen für Grund- und Sekundarschüler in Kenia angeboten werden. Es werden Sitzungen mit lokalen Tutoren, Spiele und Wettbewerbe auf nationaler Ebene und sogar ein Zugang zu Internetressourcen wie Wikipedia realisiert. Über den code *291# kann im Safaricom-Netz eine Verbindung aufgebaut werden.
Eneza Education ist ein umfassender virtueller Tutor, der universellen Zugang zu bezahlbarem, qualitativ hochwertigem, lebenslangem Lernen durch allgegenwärtige mobile Technologie bietet. Mit über vier Millionen Nutzern sind sie zweifellos Afrikas Nummer Eins der mobilen Lernplattform für zehn bis 25-jährige Lernende im ländlichen Afrika.
Auch in anderen Ländern gibt es verschiedene Ansätze, um den Zugang zu Bildung für alle Menschen zu verbessern. So wird in Tansania eine m-Learning Lernplattform im Bereich der Berufsbildung entwickelt. Mit einem blended Learning Ansatz wird die Theorievermittlung mit Hilfe einer pädagogisch optimierten m-Learning Applikation mit der handlungsorientierten praktischen Ausbildung verschränkt. Die m-Learning Applikation wird allen Interessierten kostenlos zur Verfügung stehen und optimal auf das praktische Training in der beruflichen Bildung vorbereiten.
Text: Irene Jonda und Winfried Heusinger
Die Autoren
- Winfried Heusinger ist seit 1995 in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Er hat einen Doktortitel in Soziologie, einen Master in Politikwissenschaft und ist Elektroingenieur. Heusinger hat Projekte im Mittleren Osten, in Asien und Afrika durchgeführt und beraten mit Schwerpunkt Berufsbildung, effiziente und effektive Lösungen für Systeme der beruflichen Bildung sowie aktive Einbeziehung von Arbeitgebern.
- Irene Jonda arbeitet als internationale Beraterin in der Entwicklungszusammenarbeit mit einem Fokus auf beruflicher Bildung. Sie verfügt über einen Master in „Bildung und Medien/e-learning“. Ihr Interesse gilt derzeit der Beschäftigung mit Möglichkeiten des mobilen Lernens, sowie der Erforschung von augmented reality (=erweiterte Realität) speziell für den Einsatz in der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit, mit einem prioritären Bezug zur beruflichen Bildung.