Bundesebene Erklärungen

Tarifflucht stoppen – Sozialpartnerschaft stärken

Bundesversammlung des Kolpingwerkes Deutschland fordert gleichen Lohn für gleiche Arbeit

Das Kolpingwerk Deutschland, als anerkannter Verband mit berufs- und sozialpolitischer Zwecksetzung, fordert die Herstellung gleicher Beschäftigungs- und Einkommensbedingungen in Deutschland.

Ungleiche Bezahlung von Frauen und Männer

Seit Jahrzehnten gibt es eine Ungleichstellung der Geschlechter bei Löhnen und Gehältern. In manchen Branchen verdienten Frauen noch im vergangenen Jahr bis zu 30 Prozent weniger, als ihre männlichen Kollegen. Häufig spielt bei dieser Differenz die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Rolle sowie die Tatsache, dass Führungspositionen oftmals als Vollzeitarbeitsplätze strukturiert sind. Institutionelle Faktoren, wie der Wirtschaftszweig und die damit oft verbundene Frage der Tarifzugehörigkeit sind für das Lohnniveau prägend. In Branchen, in denen der Organisationsgrad der Gewerkschaften hoch ist, sind Frauen oft besser gestellt.

Ungleiche Bezahlung von Jung und Alt

Junge Menschen unter 35 Jahren sind mehr als dreimal so oft befristet beschäftigt (16,2 Prozent) wie ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (5 Prozent). Und auch von Leiharbeit sind junge Menschen mehr als dreimal so oft betroffen wie ältere. Fast jeder zweite junge Beschäftigte unter 25 arbeitet derzeit in einer atypischen Beschäftigungsform. Rund 31 Prozent der jungen (unter 25 Jahren) Beschäftigten haben ein monatliches Bruttoeinkommen von weniger als 1.500 Euro. In den Branchen, in denen die Sozialpartnerschaft noch funktioniert, finden sich solche Verhältnisse seltener.

Ungleiche Bezahlung in Ost und West

Die Lohn- und Gehaltsdifferenz zwischen Ost- und Westdeutschland ist 25 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer zu hoch. Durchschnittlich verdienten ostdeutsche Beschäftigte im Jahr 2014 rund 572 Euro weniger, als ihre westdeutschen Kolleginnen und Kollegen. Betrachtete man die Gesamt-Beschäftigten in Ostdeutschland, hat sich der Lohn- und Gehaltsunterschied in den vergangenen Jahren zwar leicht verringert, das täuscht aber darüber hinweg, dass die Differenz in manchen Branchen stark auseinanderdriftet. Insgesamt hat diese Entwicklung auch damit zu tun, dass die Tarifbindung in Ostdeutschland deutlicher geringer ist, als im Westen.

Ungleiche Bezahlung bei Leiharbeit und Werkverträgen

Unter dem Vorwand, so flexibler auf schwankende Marktbedingungen regieren zu können, nutzen viele Betriebe Leiharbeit und Werkverträge. In der Vergangenheit waren diese Instrumente nicht selten Einfallstor für Dumpinglöhne und schlechtere Arbeitsbedingungen. Auch wenn der Gesetzgeber inzwischen neue Regelungen auf den Weg gebracht hat, bleibt abzuwarten, ob nicht die in Leiharbeit Beschäftigten weiterhin gegenüber der regulären Belegschaft strukturell benachteiligt werden. Nur Tarifverträge und starke Betriebsräte haben das Potenzial, dem nachhaltig und effektiv zu begegnen.

Tarifflucht höhlt soziale Markwirtschaft aus

Löhne und Gehälter werden in Deutschland – mit Ausnahme des Mindestlohns – nicht gesetzlich, sondern überwiegend kollektivvertraglich und in Tarifpartnerschaft ausgehandelt. Nur 24 Prozent der westdeutschen Beschäftigten hatten 1998 kein tariflich geregeltes Beschäftigungsverhältnis, im Osten waren es 37 Prozent. Diese Tarifpartnerschaft, als ordnungspolitischer Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft, verliert jedoch seit Jahren an Bedeutung. In Westdeutschland sind bereits 40 Prozent und in Ostdeutschland schon 53 Prozent (2014) der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Tarifvertrag beschäftigt.

Dass sich tarifliche Einigungen für Beschäftigte jedoch lohnen, zeigt das einfache Beispiel eines Kfz-Mechanikers mit einer 38-Stunden-Woche: Das durchschnittliche Bruttogehalt liegt in Deutschland bei rund 2.524 Euro. In tarifgebundenen Betrieben liegt es hingegen bei 2.860 Euro und damit nicht nur über dem Durchschnitt, sondern auch rund 23 % höher als in ungebundenen Betrieben!

Dass die tarifliche Bindung dennoch abnimmt, hat auch damit zu tun, dass das Bewusstsein für die Vorteile gewerkschaftlicher Organisation und damit der Organisationsgrad gesunken ist. Daraus resultiert nicht nur eine schwächere Durchsetzungskraft von Arbeitnehmerinteressen in den einzelnen Betrieben, sondern auch bei Flächentarifen und Allgemeinverbindlicherklärungen.

Immer mehr Unternehmen bevorzugen individuelle und flexible Beschäftigungsverhältnisse abseits von Tarifverträgen, um jederzeit auf ökonomische Veränderungen reagieren zu können. Damit verschaffen sie sich einen Wettbewerbsvorteil. Beispielhaft spiegelte sich diese Entwicklung zuletzt in der Diskussion um Handwerksinnungen wieder, wo Betriebe teilweise versuchten, die Vorteile der Mitgliedschaft zu nutzen, ohne diese an die jeweilige Tarifbindung knüpfen zu wollen (OT-Mitgliedschaft). Auf diesem Weg werden die Sozialpartnerschaft und das Prinzip der sozialen Markwirtschaft ausgehöhlt.

Auswirkungen dieser Entwicklung

Seit Jahren klagen Unternehmen über den Fachkräftemangel und zu wenige Auszubildende. Für das Kolpingwerk Deutschland sind attraktive Arbeitsbedingungen und faire Löhne – ausgehandelt durch die Tarifparteien – unerlässlich, um jungen Menschen eine attraktive und verlässliche Perspektive und damit die nötige Sicherheit für Familiengründungen und Familienplanung zu bieten.

Nicht selten sind die Folgen von Tarifflucht schlechtere Arbeitsbedingungen, prekäre Beschäftigungsformen und Leiharbeit. Das hat soziale und wirtschaftliche Folgen für den einzelnen Menschen, aber auch für unsere Gesellschaft: Denn niedrige Löhne und Gehälter machen sich auch über fehlende Steuereinnahmen in den Haushalten bemerkbar, bzw. bei zusätzlichen Ausgaben für Transferleistungen.

Faire Löhne und Gehälter sorgen dafür, dass niedrige Renten und Altersarmut – insbesondere bei Frauen – nachhaltig verhindert werden. Viele Vorschläge zur aktuellen Rentendiskussion setzen lediglich an den Symptomen an, ohne die eigentlichen Ursachen zu beheben.

Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass die gesetzliche Stärkung des Instruments der Allgemeinverbindlicherklärung eine realistische Möglichkeit ist, um die fortschreitende Tarifflucht zu stoppen.

Schlussforderungen

Das Kolpingwerk Deutschland fordert daher

  1. die Tarifpartner auf, für alle Beschäftigten bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit, den Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit anzuwenden.
  2. die Politik auf, sich für die Forderung von verpflichtenden Branchenlöhnen einzusetzen.
  3. die Politik auf, das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu stärken.

Beschlossen durch die Bundesversammlung des Kolpingwerkes Deutschland Köln, den 23. Oktober 2016