Bei der Eröffnung der Bundesversammlung hat Bundesvorsitzender Thomas Dörflinger vor 350 Delegierten und Gästen an Höhepunkte in den zurückliegenden Jahren erinnert: das Kolpingjahr 2013 mit Besuch und Ansprache von Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich des 200. Geburtstages Adolph Kolpings mit Fernsehbericht in der „Tagesschau“ sowie an den Kolpingtag 2015 mit 15.000 Teilnehmenden und großer nachwirkender Begeisterung.
Thomas Dörflinger wies in seinen Eröffnungsworten auf die Besorgnis erregende „Verrohung der Sprache und der Umgangsformen in der politischen Auseinandersetzung“, besonders in den sozialen Netzwerken. „Unsere christlichen Überzeugungen und Werte sind und bleiben Grundlage für unseren Einsatz. Sie sind das Gegenteil von Hass und Hetze“, sagte er.
Jeder Mensch sei kostbar und einmalig – nicht nur in seiner genetischen Veranlagung, sondern in der Vielfalt menschlicher Ausdrucksweisen und Persönlichkeiten. „Als Christen haben wir den Auftrag, diese Welt zu gestalten und zu einem lebenswerten Raum zu kultivieren, wo sich jeder angenommen weiß. Dazu passt nicht die sich ausbreitende Art, andere Menschen zu verurteilen, zu stigmatisieren, zu denunzieren und verächtlich zu machen“, betonte der Bundesvorsitzende.
Offenbar sähen sich einige als Profiteure solcher Polarisierung und Hetze. „Nein, für uns als Kolpingwerk ist die Achtung vor der Würde jedes Menschen ein absolutes Muss! Wir treten ein für einen respektvollen Umgang mit unseren Mitmenschen und lassen etwas anderes in unseren eigenen Reihen nicht zu!“
Thomas Dörflinger sagte, dass wir heute in einem Europa ohne nationale Grenzen leben. Für uns sei ein Europa ohne Grenz- und Zollkontrollen, ein Studium in einer europäischen Metropole sowie eine gemeinsame europäische Währung selbstverständlich. „Europa – das ist unsere Gegenwart und Zukunft! Keines unserer wichtigsten Probleme lässt sich im Alleingang oder gar durch die Rückkehr zu europäischer Kleinstaaterei lösen: Die Fragen der Geflüchteten, der Umweltverschmutzung sowie die innere und äußere Sicherheit“, sagte er.
Das Kolpingwerk Deutschland grenze sich deshalb klar von politischen Kräften ab, die die Errungenschaften der europäischen Union leugnen und zu nationalen Alleingängen zurückkehren wollten. „Hier widersprechen wir ganz klar, denn dieses ist mit unseren Werten und Überzeugungen unvereinbar!“ Der Bundesvorstand und die Bundeskonferenz der Kolpingjugend hätten diese Überzeugung in ihren Erklärungen bereits eindeutig zum Ausdruck gebracht.
Bundespräses Josef Holtkotte ermutigte die Delegierten zu einem Perspektivenwechsel. Anschaulich machte er dies mit einem Text, der ganz unterschiedliche, entgegengesetzte Aussagen enthält, je nachdem, ob man ihn von vorne oder hinten liest:
Perspektivenwechsel
Unser Kolpingwerk ist Ort von Kirche und gelebtem Christ-sein.
Nein, Tatsache ist,
dass Gott hier nicht mehr wohnt.
Ich glaube nicht,
dass Freude möglich ist,
dass es sich in Gemeinschaft besser lebt,
dass wir einander radikal lieben sollen.
Die Wahrheit ist,
dass die Kolpingsfamilien keine Zukunft haben.
Ich weigere mich zu glauben,
dass wir Teil von etwas sind, das über uns selbst hinaus reicht
und
dass wir verändert wurden, um zu verändern.
Es ist doch ganz klar,
dass Armut zu übermächtig ist,
dass Rassismus nicht zu überwinden ist.
Dass das Böse niemals zu besiegen sein wird.
Ich kann unmöglich glauben,
dass Dinge sich in der Zukunft zum Besseren wenden,
dass jeder Mensch seine Würde hat.
Es wird sich herausstellen,
dass Gott nicht helfen kann,
und du liegst falsch, wenn du glaubst,
Gott kann.
Ich bin davon überzeugt:
man kann Dinge nicht verändern.
Es wäre eine Lüge, würde ich sagen:
Christus ist Gottes Antlitz in der Welt.
Gemeinsam haben dann die Delegierten den Text zuerst von unten („ Christus ist Gottes Antlitz in der Welt…) gelesen und damit den Perspektivenwechsel verwirklicht.
Generalpräsens Ottmar Dillenburg und die Europa-Vorsitzende Margrit Unternährer (Schweiz) dankten in ihren Grußworten für das große ehrenamtliche Engagement, das vom Kolpingwerk Deutschland geleistet werde. Danach begannen die Beratungen anhand der weiteren Tagesordnungspunkte. Die Versammlung hat ein umfangreiches Pensum zu leisten.