Der Buchdruck, die Dampfmaschine,die Eisenbahn, das Transatlantikkabel, das Auto sind Entwicklungen, die das Leben früherer Generationen verändert haben. Dann kamen das Internet und vor knapp elf Jahren das Smartphone, die unser Leben heute verändern, bzw. schon längst umgekrempelt haben. Beides sind Erfindungen, ohne die wir heute fast schon nicht mehr leben können – zu sehr haben sie unseren Alltag durchdrungen.
Spricht man heute eigentlich noch so viel von der Zukunft wie in früheren Jahren? Science Fiction, Utopien, abwegige Ideen von denen wir glauben, dass sie niemals, oder nur in einer fernen Zeit Realität werden können? Das, was vor – sagen wir mal 20 Jahren – noch völlig undenkbar schien, ist heute längst Wirklichkeit und morgen schon wieder veraltet. Wir kommunizieren mit Menschen auf der ganzen Welt. Das 20-bändige Lexikon in der Schrankwand ist längst Geschichte, heutige Schüler wissen oft nicht, dass es so etwas mal gab. Das Internet wertet unsere Daten aus und kennt uns oft inzwischen besser als unsere Partner und Freunde. Wir finden Informationen in Internet-Datenbanken. Wir kaufen von zuhause in Online-Shops weltweit ein, und Heizung, Licht in unserer Wohnung sowie immer mehr Haushaltsgeräte können wir inzwischen von überall aus über unser Smartphone steuern.
Das, was unser Leben inzwischen auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen so gravierend verändert, bestimmt und durchdringt, wird stark vereinfacht „Digitalisierung“ genannt. Inzwischen ist das Thema allgegenwärtig. Zeitungen und Fernsehsendungen berichten darüber. Immer neue Entwicklungen werden beschrieben. Gefahren werden benannt. Manche sehen den Untergang unserer Gesellschaft voraus. Die Digitalisierung wird verteufelt. Andere wiederum glorifizieren; sie sehen in der Digitalisierung das Heil der Welt. Und es gibt die Stimmen dazwischen, die abwägen, die zwar Gefahren und Probleme benennen, aber gleichzeitig auch auf mit der Digitalisierung verbundene, ungeahnte Chancen und Errungenschaften hinweisen.
Auch Kolping befasst sich intensiv mit dem Thema, denn es geht letztendlich um den Menschen. Die Angst ist bei vielen groß, dass Menschen von der Digitalisierung überrannt bzw. z.B. in der Arbeitswelt verdrängt werden. Droht uns eine Entwicklung, bei der die Technik und modernste Roboter im Mittelpunkt stehen und nicht mehr der Mensch? Wird der Mensch gar zum Knecht oder Sklaven der Technik? Werden einzelne Menschen oder gar ganze Bevölkerungsgruppen von der Entwicklung abgehängt und ausgeschlossen? Die Fragen sind nicht neu. Die Menschen zur Zeit Adolph Kolpings, am Beginn der Industrialisierung, hatten vielleicht ähnliche Fragen und Ängste. Doch so wie für Adolph Kolping damals die Menschen (die Gesellen) im Mittelpunkt standen, steht für das Kolpingwerk auch heute der Mensch im Zentrum: Nicht der Mensch hat der Technik zu dienen, sondern die Technik dem Menschen! Daher beteiligt sich das Kolpingwerk Deutschland an der Diskussion um die Auswirkungen der Digitalisierung und daraus abzuleitende Konsequenzen. Kolping will nicht zuschauen, sondern gestalten. Den Auftakt hat das Kolpingwerk Deutschland dazu im Oktober 2017 mit einer Veranstaltung in Wolfsburg gemacht, bei der alle Bundesfachausschüsse mitgewirkt haben. In der Kolping-Zeitschrift Idee & Tat beschäftigt sich das Kolpingwerk ab der Ausgabe 1/2018 in einer Serie mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf verschiedene Bereiche, beginnend mit der „Arbeitswelt“.
Die Vielfalt der Bereiche, in denen die Digitalisierung bereits Einzug gehalten hat bzw. in Zukunft das Leben bestimmen wird, ist zu groß, um sie hier umfassend zu schildern, deshalb nachfolgend hier nur einige erste Einblicke:
Digitalisierung des Alltags
Im Schnitt schaut jeder Nutzer pro Tag über 80 mal auf sein Smartphone. Das haben Wissenschaftler im deutschen Menthal-Balance-Projekt herausgefunden. Und das ist nur der Durchschnitt, was bedeutet, dass viele Menschen auch wesentlich häufiger aufs Display schauen. Die Versuchung ist für viele groß, jederzeit das Smartphone zu zücken, auch wenn man gerade mit einem anderen Menschen spricht. Die gerade eingehende Nachricht scheint dann oft wichtiger zu sein, als der Mensch, der einem gegenüber steht. Eltern beklagen sich, dass ihre Kinder andauernd online sind, um mit ihren Freunden zu chatten. Studien veröffentlichen in schöner Regelmäßigkeit neue Zahlen zur Handysucht von Kindern und Jugendlichen. Dabei ist es bei Erwachsenen nicht anders: Auch sie sitzen oft mit ihren Partnern oder Freunden zusammen und sprechen dann nicht miteinander, sondern sind mit ihrem Handy beschäftigt. Es gibt viele Ratschläge für einen verantwortungsvollen Umgang mit Smartphones: Handyverbote beim gemeinsamen Essen, Offline-Tage einlegen, keine Handynutzung bei Treffen mit Freunden etc.
Gleichzeitig sind aber auch die Vorteile zu benennen. So können wir über das Smartphone und Dienste wie WhatsApp und Facebook ganz einfach mit Freunden und Familienmitgliedern in Kontakt bleiben, egal, wo sie sich gerade auf der Welt aufhalten. Dann unterhält sich die Oma z.B. via Skype mit dem Enkel, der für ein Jahr in den USA zur Schule geht.
Digital in der Arbeitswelt
Digitalisierung vereinfacht Arbeitsprozesse und beschleunigt sie. „Intelligente“ Maschinen kommunizieren miteinander. Damit einher geht die Angst, dass die Arbeitskraft des Menschen in naher Zukunft nicht mehr benötigt wird und die Technik den Menschen überflüssig macht. „Im Gegenteil!“ schreibt Wirtschaftsjournalist Erik Händeler. Zwar „übernehmen digital gesteuerte Roboter die Handgriffe der früheren Fließbandarbeiter; mit Hilfe von Computern lassen sich ganze Broschüren gestalten und Datenpakete sekundenschnell in der ganzen Welt verschicken“, schreibt er. Aber „wir werden in Zukunft weit mehr Arbeit haben, als wir überhaupt bewältigen können. Sie verschwindet nicht, sie verändert sich.“
Ein Blick ins Handwerk zeigt, wieviel sich bereits heute verändert hat:
Beispiel „Datenbrille“: Mitarbeitende von Unternehmen z.B. im Elektrohandwerk können heute mithilfe einer speziellen Brille Daten direkt dort abrufen, wo sie diese gerade benötigen.
Bei Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten schaut der Maschinenbediener durch die Datenbrille auf einen Bereich der Maschine, die er gerade überprüft, und im Glas der Brille sieht er gleichzeitig die erforderlichen Informationen zu diesem Maschinenteil. Arbeitsprozesse können mithilfe einer in der Brille angezeigten Schritt-für-Schritt-Arbeitsanleitung abgearbeitet werden. Die Fachkräfte müssen nicht in Handbüchern blättern und haben so beide Hände für die Arbeiten frei. Die anschließende Dokumentation von Hand entfällt. Es reicht ein Foto mit einer integrierten Kamera, das sofort via Internet verschickt werden kann.
Beispiel Tischlerei: CNC-Fräsmaschinen (computergesteuerte Maschinen) ermöglichen im Zusammenspiel mit der vorherigen Programmierung am Computer neue Formen der Holzbearbeitung. Und mit Virtual-Reality-Brillen können Kunden bereits vor der Fertigstellung in der Computersimulation sehen, wie die bestellten Möbel aussehen werden und wie sie sich in ihre Wohnräume einfügen. Das traditionelle Tischlerhandwerk wird dabei nicht ersetzt, sondern es wird um moderne Fertigungsverfahren ergänzt.
So geht die zunehmende Digitalisierung auch einher mit neuen Anforderungen an die Bildung und Ausbildung. In der Zeitschrift „Die Politische Meinung“(Ausgabe 9/10 2017) weist Johanna Wanka, Bundesministerin für Forschung und Bildung, auf die Notwendigkeit hin, das Bildungssystem zügig dem Wandel in der Arbeitswelt anzupassen. Dabei skizziert sie die Möglichkeiten, die auch bereits jetzt in verschiedenen Bildungseinrichtungen Einzug gehalten haben. So bieten virtuelle und erweiterte Realitäten neue und erweiterte Lernmöglichkeiten für praktische Übungen mit digitalen Werkzeugen. Komplexe Produktionsprozesse müssen nicht mehr für die Übungen gestoppt werden. Stattdessen können die Auszubildenden die Maschinen in einer virtuellen Welt im Detail sehen und so Prozesse verstehen lernen. Betriebsabläufe können simuliert, technische Probleme virtuell für Übungen eingebaut werden.
Beispiel Schweißerausbildung: Angehende Schweißer müssen ihr Handwerk nicht mehr ausschließlich an realen Objekten erlernen. Inzwischen können Bildungseinrichtungen und Ausbildungsbetriebe Schweißsimulatoren einsetzen. Die Auszubildenden schweißen virtuell; d.h. nicht mit einem realen Schweißbrenner und Gas, sondern mit einer digitalen Schweißerdüse, die Daten über den virtuellen Schweißvorgangs sammelt und diese an einen Computer überträgt. Über eine VR-Brille werden dem Auszubildenden virtuell Bilder von einem realen Schweißvorgang vermittelt. Er sieht die Gasflamme und hört gleichzeitig die beim Schweißen entstehenden Geräusche. Anschließend kann er mit seinem Ausbilder am Computer die Übungen auswerten. Diese Technik spart Zeit, da schnell zwischen verschiedenen Schweißtechniken gewechselt werden kann. Außerdem werden Verbrauchsmaterialien wie Metalle und Schweißgase eingespart.
Die Kolping-Berufshilfe Tirschenreuth in der bayerischen Oberpfalz nutzt bereits die Chancen des digitalen Lernens. Mit der eCadamy, einem Anbieter für eLearning stellt die Kolping-Berufsbildung den Teilnehmenden einer beruflichen Weiterbildung leicht zu bedienende eLearning-Kurse zur Verfügung. Dazu sagt Rudolf Kreuzer, Leiter der Erwachsenenbildung: „Mit den Lernprogrammen lässt sich auch das Löten von Elektroplatinen und das CNC-gestützte Fräsen ohne Probleme üben, weil solche Tätigkeiten perfekt simuliert werden.“ Damit entfalle die Anschaffung teurer Spezialmaschinen. (Vgl. Beitrag„Besser digital lernen“ in Idee &Tat 1/2018.)
Verpassen die Menschen in den Entwicklungsländern den Anschluss?
Im Dezember hat Unicef, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, eine Studie vorgelegt, aus der hervorgeht, dass fast 350 Millionen Menschen von einer „Informationsarmut“ betroffen sind. Neben den Gefahren für Kinder, die sich durch das Internet ergeben, z.B. durch übermäßige Internetnutzung und Abhängigkeit vom Smartphone, hebt Unicef ausdrücklich den Nutzen digitaler Technologien hervor, den diese für Kinder und Jugendliche haben können, die in entlegenen Regionen von Entwicklungsländern und in Krisengebieten leben. Sie könnten über das Internet Zugang zu Lern- und Bildungsangeboten bekommen.
Weltweit haben schätzungsweise 346 Millionen Kinder und Jugendliche Zugang zum Internet. Vor allem die junge Generation in Afrika sei von der digitalen Informationswelt ausgeschlossen. Hier könnten digitale Technologien Jobchancen für junge Menschen verbessern. Voraussetzung sei aber, dass eine gute Pädagogik und gut ausgebildete Lehrkräfte diesen Prozess begleiten. Winfried Heusinger von der schweizerischen Entwicklungsorganisation Helvetas hat auf der Kolping-Fachtagung zum Thema Digitalisierung die Chancen für Menschen in Entwicklungsländern skizziert. So könnten Jugendliche in abgelegenen schwer zu erreichenden Regionen über mobile Endgeräte Zugang zum Internet und zu Lerninhalten bekommen. Mit den Lehrern in weit entfernten Schulen müssten sie sich dann nur seltener zum Praxisunterricht treffen. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Zumal große Gebiete noch keine Internetabdeckung haben.
Auf ihrem ersten Treffen im April 2017 in Düsseldorf haben die Digitalisierungsminister der G20-Staaten sich auf einen gemeinsamen Fahrplan für die Digitalisierungspolitik geeinigt. Bis zum Jahr 2025 sollen alle Menschen auf der Welt Zugang zum Internet haben. Dabei gilt Deutschland nicht gerade als Vorbild. In entlegenen Regionen, vor allem in Ostdeutschland, gibt es bis heute kein Breitbandnetz und damit auch kein schnelles Internet.
Big Data
„Wir hinterlassen permanent Daten“, sagt Heike Maas, Lehrbeauftragte an der Hochschule Campus M21 in München. Auf der Kolping-Fachtagung in Wolfsburg hat sie über das „Manipulationspotenzial durch Digitalisierung“ gesprochen. Wir hinterlassen – oft unbewusst – Daten und geben damit etwas von uns preis, wenn wir ins Internet gehen, wenn wir unser Smartphone nutzen, wenn wir mit der EC-Karte bezahlen, wenn wir die Payback-Karte zücken, wenn wir den Fernseher mit Internetanschluss anschalten, wenn wir das Navi im Auto aktivieren, wenn wir den Staubsauger-Roboter arbeiten lassen, wenn ... Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.
Im Einzelnen sind die Daten oft wenig interessant. Aber wenn Daten von verschiedenen Stellen zusammengefasst werden zu Profilen, sagen sie viel über einen Menschen aus. Diese Daten sind eine wertvolle Handelsware, die darauf spezialisierte Firmen an andere Unternehmen verkaufen. Diese bringen die Daten mit Algorithmen zusammen, die dann genau ermitteln, welche Personen mit gezielten Informationen, Werbung etc. beliefert werden sollen. Dann findet man plötzlich in seinem Briefkasten Werbung für Produkte, von denen man selber bisher noch nicht wusste, dass man sie in der jeweiligen Lebenssituation gebrauchen kann.
Auch in sozialen Netzwerken wie Facebook hinterlassen unzählige Menschen Informationen, Meinungen, Kommentare. Dort suchen spezielle Programme, sogenannte Social Bots, automatisch nach Schlüsselwörtern z.B. in Facebook-Posts und Twitter-Verläufen. Nach dem Auffinden der von ihnen gesuchten Wörter schreiben sie automatisch Nachrichten. Social Bots können so auf Kommunikationsplattformen,wie z.B. Facebook, menschliche Kommunikation imitieren und vortäuschen, reale Menschen zu sein. So können Social Bots Meinungen in eine bestimmte Richtung drängen, indem sie den Eindruck erwecken, dass viele User eine bestimmte Meinung teilen. Durch die große Masse an verfälschten Botschaften lassen sich Trends vortäuschen. Somit sind Bots auch Propagandawerkzeuge. Sie wurden auch im vergangenen Präsidentenwahlkampf in den USA eingesetzt.
Die Menschen in der heutigen Zeit sind also auf allen Ebenen herausgefordert, wachsam zu sein, und die Entwicklungen kritisch, aber ohne Angst, zu verfolgen. Kolping will diesen Prozess begleiten. Denn im Mittelpunkt muss immer der Mensch stehen. Dann kann die Technik zum Segen für die Menschen werden und nicht zu einem Fluch.
Text: Georg Wahl
Fotos: Barbara Bechtloff
Kolping befasst sich intensiv mit dem Thema Digitalisierung. Alle Informationen und Texte – aus dem Kolpingmagazin sowie Idee & Tat – findest Du gesammelt und auch zum Download auf www.kolping.de/digitalisierung.