Liebe Schwestern und Brüder,
der Weg Christi war, menschlich gesehen, ein Weg in die äußerste Unfruchtbarkeit des Leibes und der Seele. In Christus liefert sich der allmächtige und unendliche Schöpfer dem vernichtenden Todeswillen seiner Gegner aus; er ließ sich einschließen in ein ohnmächtiges, bodenloses Sterben und Zunichtewerden. Denn, bedenken wir die letzten Wochen und Tage: der Weg Jesu endet am Kreuz, geschlagen und voll Blut. An diesem Punkt standen wir bis zum Karsamstag.
Im Dunkel des Todes endet der Weg Jesu. Im Dunkel beginnt auch die Feier der Osternacht, und vielleicht wird bei manchem von uns das Dunkel des eigenen Lebens lebendig. In diesem Dunkel des Anfangs sind auch meine Probleme enthalten, meine Sorgen, meine Zweifel. All das, was ich nicht lösen kann, was mir auf den Rücken gebunden ist und mich niederdrückt. Jeder von uns hat wohl ein solches Päckchen auf seinem Rücken, und mancher stöhnt unter der schweren Last. Was mutet Gott uns bloß zu? Will er mich niederdrücken, so wie Jesus schließlich gefallen ist unter der Last seines Kreuzes? Das sind Fragen unserer Dunkelheit.
Doch in diesem Dunkel des Anfangs bleiben wir Ostern nicht stehen. Um uns herum ist es hell geworden. In der Osternacht sehen wir, wie die Gesichter der Menschen anfangen zu leuchten durch den Kerzenschein.
Wie unsere Kirche neu erstrahlt - wie neugeboren nach der Zeit des Dunkels.
Und wir spüren, wir sind keine außenstehenden Beobachter, sondern wir sind mittendrin in diesem Geschehen, wir sind beteiligt.
Und so werden wir zu Zeugen, ja, mehr, zu Einbezogenen und Miterfassten einer atemberaubenden Wende, einer neuen Geburt.
Eine unglaubliche Verwandlung: Aus dem Tod bricht Leben hervor. Die Osterkerze, ehe sie geweiht und entzündet wurde, stellt den toten Leib Christi dar, und es ist, als stechen die fünf Nägel an dieser Kerze Quellen des Lebens an, als schlage jeder Nagel wie einst Moses in der Wüste aus dem Felsen Wasser. Ja, die Qual und die Drangsal des Todes erweisen sich als der Beginn, die Wehen des Lebens.
Deshalb liegt die Macht des Schöpfers, die Macht Christi nicht in der Unantastbarkeit seiner Gottheit und in seinem allmächtigen Schöpferwillen begründet, sondern in der letzten Entäußerung dieses Willens und in der Hingabe seines Leibes an die zupackende Willkür des Gegners, in der vollständigen Verwandlung alles Wollens in eine abgrundtiefe Liebe.
Und da stehen wir nun mit unserem Leben: Verwandlung allen Wollens in die Liebe.
Ostern löst nicht all unsere Probleme und Sorgen, aber wir spüren, dass wir sie nicht allein tragen müssen, dass der Herr uns hilft. Wir erfahren, dass wir plötzlich mehr Kraft haben, weil wir wissen, dass ER auferstanden ist, dass es um uns herum nicht mehr so dunkel ist, dass etwas von seinem Auferstehungsglanz in unser Leben hineinfällt.
Das, was wir an Sorgen und Problemen haben, hört nicht auf, aber es kann aus dem Dunkel heraustreten; wir sind fähig, es in einem anderen Licht zu sehen. Weil Christus uns hilft, können wir manches tragen und ertragen, worüber wir sonst im Dunkel verzweifeln könnten. Das heißt Ostern: Gott hat ein Herz für uns - und er teilt uns dieses Herz in Christus mit.
In der Osternacht regt sich ganz zart und preisgegeben im Nichts das Flämmchen des Lichts, wacht aus dem Tod der winzige Keim des Lebens und der Liebe auf, wandert allmählich von Mensch zu Mensch, breitet sich aus und wächst auf dem Weg in die Kirche, in den Raum der Gemeinschaft der Heiligen am Ende der Zeiten, zu immer größerer Fülle.
Lassen wir uns dieses Osterlicht nicht nehmen! Gott schenkt es uns in seinem Sohn. Nichts auf der Welt kann diese Liebe besiegen - nicht unsere Sorgen, nicht der Tod. Gott wendet sich uns zu. Das ist die Größe von Ostern. Der Glaube ist stärker als der Tod. Die Liebe ist mächtiger als unser Dunkel. Und das alles tut Gott für uns. Christus lebt. Halleluja.
Pfarrer Josef Holtkotte, Bundespräses des Kolpingwerkes Deutschland