Bundesebene Geistlicher Impuls

Handeln nach Jesu Vorbild

Worte des Kolping-Bundespräses Josef Holtkotte zum heutigen Sonntagevangelium

Wie geht es uns, beim Hören der ersten Wundergeschichte im Markusevangelium?
In der Evangelienreihe, die derzeit zum Vortrag kommt, geht wahrlich eine Flut von Wundergeschichten auf uns nieder. So kann ich mir vorstellen, dass bei dem einen oder anderen die Frage auftaucht, was von solchen Erzählungen zu halten ist.

Gibt es das überhaupt: Besessenheit durch böse Geister? Manche Theologen sind der Ansicht, dass es so etwas wie eine Besessenheit gar nicht gibt, sondern dass die Bibel bestimmte Krankheiten und deren Ursachen, wie etwa Schizophrenie oder Epilepsie, so nennt, weil sie diese noch nicht ausdrücklich kannte. Wenn sich zum Beispiel Menschen zur damaligen Zeit seltsam verhielten, konnte man sich das nicht anders erklären, als dass böse Geister von ihnen Besitz ergriffen hatten. In der Tat kann so manches, was in der Bibel noch als Besessenheit genannt wird, heute als Krankheit erklärt und erfolgreich behandelt werden. 
In unserem Evangelium geht es aber gar nicht so sehr um all diese Detailfragen. Was könnte hinter dieser Erzählung stecken? Was könnte sie uns heute sagen?

Im Zentrum steht ein kranker Mensch. Kranke und Leidende nehmen bei Jesus eine zentrale Rolle ein. Viele von uns wissen aus eigener leidvoller Erfahrung, wie schnell man als Kranker an den Rand rückt und das Leben an einem vorbeigeht. Man wird vergessen und manchmal abgeschoben. Jesus wendet sich dem Kranken zu, trotz der Sabbatruhe, die eine Sache des Gemeinwohles ist und damit Vorrang vor dem Elend dieses Menschen haben sollte. Die Anwesenden sind betroffen von dem Handeln Jesu und fühlen sich gleichzeitig provoziert.

Jesu Handeln hat Verkündigungscharakter. Durch sein Verhalten wird eine Wirklichkeit Gottes behauptet, die das damals herrschende Gottesbild in Frage stellt. Manchmal ist wohl ein Blickwechsel erforderlich, ja notwendig - auch in unserer Zeit. Das Gottesbild Jesu macht Mut in vielen Fragen unserer Zeit. Es stempelt nicht ab, sondern baut auf. Es rückt den Menschen in den Mittelpunkt. 

Jesu Art, den einzelnen ernst zu nehmen und zu seinen Gunsten den Sabbat zu verletzen, ist eine provokative Infragestellung all dessen, was den Leuten heilig ist. Doch es gibt auch heute noch zahlreiche "unreine Geister", die den Menschen spalten in seiner Identität, die Zerstörung und Unheil bewirken, nicht nur am Leib, sondern auch an der Seele. Es gibt Wunden, die wir einander schlagen, die verhindern, dass Menschen zu sich selbst finden können.

So stellen sich auch an uns heute - als Gemeinde Jesu Christi - hier und jetzt konkrete Anfragen: Wie würden wir auf die provokative Art Jesu reagieren? Wer oder welche Macht ergreift von uns "Besitz"?
Wenn wir uns jedoch selbst auf die Art Jesu einlassen und das begreifen, was wir gehört haben, nämlich selbst Sehende und Helfende zu sein, dann ist Kirche als Lebensraum der Menschen und als Wahrnehmungsraum der Botschaft Jesu Christi glaubwürdig erfahrbar, denn die Würde des einzelnen Menschen in ihrer Unverletzlichkeit hat ihren Grund darin, dass der Mensch Ebenbild Gottes ist.
Aus dieser Gewissheit ermutigt Jesus uns, Partei zu ergreifen für den, der im Abseits steht. So wie er uns vom Rand in die Mitte holt, dorthin wo Gott seinen Platz hat, so sind auch wir aufgerufen, nach seinem Vorbild zu handeln, denn der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat. Das zu verstehen, ist manchmal schon ein Wunder. 

So wird das Evangelium und eine Wundergeschichte, die zunächst weit weg erschien, zur Glaubensfrage für uns. Dieser wunderbare Gott will unser Leben, unsere Liebe. Er will uns erfüllen mit seiner frohen Botschaft, uns Kraft geben für unser Leben. Dann bleibt es kein Wunder, dass Gott dort ist, wo Menschen miteinander Leben teilen. Er ist da. Mitten unter uns, in unseren Sorgen und Fragen, in Freude und Leid, in Politik und Gesellschaft, in Kirche und Staat. Ist das ein Wunder? Vielleicht. 

Pfarrer Josef Holtkotte, Bundespräses des Kolpingwerkes Deutschland

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