Kirchenfenster aus dem 19. Jahrhundert in der Nikolaikirche in Örebro. Das Motiv stellt Jesus mit Martha und Maria dar.

Bundesebene Geistlicher Impuls

Ganz in Anspruch genommen: Multitasking nach dem Evangelium

Geistlicher Impuls zum Sonntag von Kolping-Bundespräses Hans-Joachim Wahl

Marta und Maria – ein spannungsgeladenes Schwesternpaar begegnet uns hier in der Bibel. Die eine: ganz davon in Anspruch genommen, für Jesus zu sorgen, die andere: ganz davon in Anspruch genommen, bei Jesus zu sein und ihm zuzuhören, weil er gerade da ist.

Marta ist aktiv, Maria anscheinend nicht.

Und Jesus? Er sitzt buchstäblich dazwischen. Aus der Situation heraus sagt er sogar noch: „Maria hat den guten Teil erwählt, der wird ihr nicht genommen werden“. Früher wurde die Spannung durch die Übersetzung noch erhöht. Viele werden es noch im Ohr und im Gedächtnis haben, und nicht wenige werden sich noch immer daran stoßen und ärgern.  Da war nämlich die Rede vom „besseren“, das Maria erwählt hatte. Im griechischen Urtext des Lukasevangeliums ist allerdings nur die Rede vom guten Teil, nicht vom besseren. Das lässt keine der beiden Schwestern in schlechtem Licht stehen.

Ein Problem bekommen wir nur, wenn wir uns die Haltung der Marta zu eigen machen, die sich zurückgesetzt, weniger geschätzt fühlt in dem, was sie tut. Das kennt die Bibel buchstäblich seit Kain und Abel: Gott nimmt das Opfer des Abel an. Kains Opfer nimmt er nicht an. Das ist Gottes souveräne Entscheidung und keine Wertung. Kains Opfer wird nicht als schlechter bezeichnet. Ähnlich ist es beim Bruder des Verlorenen Sohnes, der bei der Rückkehr seines Bruders dem Vater Vorhaltungen macht, weil er sich zurückgesetzt fühlt. Dabei legt der Vater alle Mühe hinein, dem älteren Sohn klar zu machen, dass er nicht zurückgesetzt wird: „Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen, denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder… (Lk 15,31 f.)

In einem Kommentar zu unserem Sonntagsevangelium wird mir eine neue Sichtweise deutlich gemacht: Marta UND Maria haben auf das Wort Jesu gehört – jede eben auf ihre Weise. Maria, indem sie ihm zu Füßen saß, und Marta, während sie für Jesus sorgte. Beides gehört zusammen. Wenn wir eng am Evangelium bleiben, sticht Maria ihre Schwester in keiner Weise aus, auch wenn sie den „guten Teil“ erwählt hat und sich in dieser Situation ganz vom Wort Jesu in Anspruch nehmen lässt. Sie hört aktiv zu. Marta ist multitaskingfähig: sie hört zu und lässt sich nicht von ihrer Arbeit abhalten – bis sie ausspricht, was sie stört und sich damit selbst auf- und ihre Schwester abwertet, indem sie diese der Untätigkeit bezichtigt. Dann schlägt die Geschichte um; die vermeintliche Idylle zerbricht. Dabei waren beide Frauen ganz für das Gute in Anspruch genommen. Jede auf ihre Weise. Und jetzt das…

Auch in unseren innerkirchlichen und innerverbandlichen Diskussionen scheint eine solche Spannung immer wieder auf. Damit musste sich schon Adolph Kolping auseinandersetzen. Er schreibt einmal:

„Viele, sehr viele Fromme haben einen Fehler, viele Fromme meinen nämlich ganz bestimmt, ihre Art Frömmigkeit sei die rechte, endlich die einzig richtige. … Der eine drängt bloß aufs Gebet, der andere auf die Arbeit; der will die Menschen alle zum inneren Leben anführen, jener möchte sie zum Schaffen und Wirken nach außen zwingen. Das ist nun sehr unfromm und soll nicht sein, weil es unduldsam ist in Dingen, die Gott selbst anders gemacht hat oder doch frei gewähren lässt. Lassen wir jedem seine Art Frömmigkeit, sorgen wir nur vor allem, dass wir diese unsere möglichst vervollkommnen. Wer der Beste ist, weiß allein Gott, der in die Herzen sieht, die Art und Weise tut wenig, oft gar nichts dazu. ... Dass Gott so vielerlei auf verschiedene Art gemacht hat, macht die Schöpfung so schön.“

Ein guter Impuls für diese neue Woche: nicht gleich urteilen, nicht Menschen und Dinge nach oben und unten einsortieren, sondern sie vor jeder Bewertung erst einmal nebeneinander stehen lassen und sich an der Vielfalt der Lebensweisen freuen, seien sie nun multitaskingfähig oder nicht. Solange sie sich ganz in Anspruch nehmen lassen, für das Reich Gottes zu sorgen, dürfte alles in Ordnung sein.

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Bild: Wikimedia Commons/David Castor