Durch die massenhafte Verbreitung des Corona-Virus in Betrieben der Fleischindustrie sind lange kritisierte Missstände in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Ausbrüche in den betroffenen Schlachtbetrieben beruhten maßgeblich auf den prekären Anstellungs- und Unterbringungsbedingungen von Mitarbeitenden. In vielen dieser Betriebe liegt der Anteil des über Werkverträge beschäftigten Fremdpersonals bei über 50 Prozent, in manchen weit drüber. Werkvertragsarbeitnehmer gelten als Selbstständige und werden in Unternehmensbilanzen anstelle von Personalkosten unter Sachkosten aufgeführt. Häufig werden ausländische Arbeitskräfte eingesetzt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind und auch deshalb schnell in prekäre Situationen geraten. In aller Regel werden sie von Subunternehmen an die fleischverarbeitenden Betriebe vermittelt, sodass letztere nicht in unmittelbarer Verantwortung für die in ihrem Betrieb tätigen Arbeitskräfte stehen.
Deutschland, das sich im europäischen und internationalen Maßstab gerne seiner hohen arbeits- und sozialrechtlichen Standards rühmt, muss diese auch konsequent anwenden.
Längst überfällig – nun muss zügig gehandelt werden
In Kürze kommt ein Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zum Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie zur Beratung in den Bundestag. Dieser sieht ein längst überfälliges Direktanstellungsgebot vor.
Nach Überzeugung des Kolpingwerkes ist zudem eine flächendeckende tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen und Vergütung in der Fleischindustrie dringend notwendig. Dies muss Vorbildfunktion für die Ersetzung von Werkverträgen in anderen Bereichen haben. In diesem Zusammenhang erinnert das Kolpingwerk an einen Beschluss des Bundeshauptausschusses aus dem Jahr 2014 mit der Aufforderung an den Gesetzgeber, günstige Rahmenbedingungen zur Etablierung von Branchentarifverträgen zu schaffen. Diese sind und bleiben das beste Mittel gegen Dumpinglöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. In der Fleischindustrie wie auch in anderen Bereichen müssen flächendeckend Beschäftigungsverhältnisse vorherrschen, die den Ansprüchen der sozialen Marktwirtschaft gerecht werden.
Flexibler Personaleinsatz braucht enge Grenzen
Formen des flexiblen Personaleinsatzes, wie Leiharbeit und Werkverträge, eröffnen Unternehmen Handlungsspielräume, unter anderem in zeitlich begrenzten Phasen mit hohen Auftragseingängen. Diese Beschäftigungsformen dürfen jedoch nicht zu missbräuchlichem Einsatz führen. Daher ist es geboten, jeden Sektor differenziert zu betrachten und die jeweiligen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Dort, wo dies möglich und sinnvoll ist, sind Selbstverpflichtungen der Arbeitgebenden eine Option. Die Unternehmen der Fleischindustrie haben allerdings von dieser Möglichkeit niemals glaubwürdig Gebrauch gemacht. Bei regelmäßigen Kontrollen durch die zuständigen Behörden konnten jahrelang keine Verbesserungen in der Arbeitsqualität festgestellt werden. So kommt eine Schwerpunktprüfung des Landes Nordrhein-Westfalen zu dem Schluss, dass in 30 Großbetrieben mit insgesamt 17.000 Mitarbeitenden alleine im vergangenen Jahr etwa 8.800 Regelverstöße festgestellt wurden. Insofern wird der in Aussicht gestellte Ausbau von bundeseinheitlichen Kontrollkapazitäten begrüßt. Es ist in dieser Situation ein richtiges Zeichen, dass die Kontrollen entgegen dem Trend der letzten Jahre wieder verstärkt und eine Mindestbesichtigungsquote von Betrieben beabsichtigt wird. Dies muss mit der Möglichkeit einer harten Sanktionierung in Form hoher Bußgelder bei Regelverstößen verbunden sein. Denn viele Unternehmen der Fleischindustrie haben durch ihr verantwortungsloses Handeln grundsätzlich Vertrauen verspielt, das nur schrittweise und unter Zunahme erforderlicher Kontrollen wieder aufgebaut werden kann.
Mit dem geplanten Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft wird nun gegen diesen längst fälligen Missstand vorgegangen. Denn zukünftig wird Inhabern von Fleischbetrieben die Einstellung von selbstständig Beschäftigten untersagt. Nicht nachvollziehbar ist allerdings eine gesetzlich vorgesehene Ausnahmeregelung, die Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten ausnimmt. Wünschenswert ist darüber hinaus eine kritische Prüfung weiterer Branchen, in denen Leiharbeit und Werkverträge Kernbestandteile von Produktion und Dienstleistung sind, wie zum Beispiel in der Saisonarbeit der Landwirtschaft.
Werkverträge europaweit regulieren
Im nun öffentlich gewordenen Fall der Missstände in der Fleischindustrie wird exemplarisch deutlich, dass der europäische Binnenmarkt eine Stärkung seiner sozialen Dimension benötigt. Dass insbesondere Mitarbeitende aus südosteuropäischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union von diesen prekären Arbeitsbedingungen betroffen sind, offenbart einen negativen Aspekt des Binnenmarktes. Dabei sollte das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ nicht nur für Deutschland, sondern für den gesamten europäischen Binnenmarkt leitend sein.
Deutschland ist nicht das einzige Land innerhalb der Europäischen Union, in dem solche Missstände vorherrschen. Es bedarf insofern einer europaweiten Regelung, auch um mögliche Ausweichreaktionen von Betrieben und Subunternehmen in andere Mitgliedsstaaten zu verhindern. Es wird nicht ausreichen, wie kürzlich von EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit angeregt, Leitlinien gegen die Umgehung von EU-Sozialstandards zu entwickeln. Es braucht vielmehr eine verbindliche Richtlinie, die in allen Mitgliedsstaaten gesetzlich verankert wird. Mit der Novellierung der EU-Entsenderichtlinie im Jahr 2019 hat die Europäische Union die Rechte von europaweit entsandten Arbeitnehmenden erheblich gestärkt. Dieses Engagement muss nun auch mit Blick auf die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie stattfinden. Die Bundesregierung sollte hierzu ihre Möglichkeiten im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft nutzen und die dringend erforderlichen Impulse setzen.
Frankfurt, 29. August 2020
Der Bundesvorstand
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