Erklärungen

Internationale Verantwortung wahrnehmen – Lieferkettengesetz auf den Weg bringen!

Erklärung des Bundesvorstandes des Kolpingwerkes Deutschland zum Lieferkettengesetz

Die Bundesregierung hat 2016 den Nationalen Aktionsplan für Menschenrechte (NAP) verabschiedet, der alle in Deutschland ansässigen Unternehmen dazu aufruft, Verantwortung für menschenrechtliche und ökologische Standards in ihren globalen Lieferketten zu übernehmen und Mechanismen zu etablieren, die Verstößen vorbeugen. Mit dem NAP hat die Bundesregierung dabei zunächst auf das freiwillige Engagement von Unternehmen gesetzt, bevor eine Überprüfung klären sollte, ob eine solche Selbstverpflichtung ausreicht. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine gesetzliche Regelung in Aussicht gestellt für den Fall, dass weniger als die Hälfte aller Unternehmen mit über 500 Mitarbeitenden bis 2020 keine entsprechenden Verfahren in ihre Geschäftspraxis integriert haben.

Am 14. Juli haben Entwicklungsminister Gerd Müller und Arbeitsminister Hubertus Heil die Ergebnisse dieser Überprüfung vorgestellt. Diese sind ernüchternd: Von 2.250 angefragten Unternehmen haben sich nur 455 zurückgemeldet; von diesen wiederum erfüllen gerade einmal 22% die erforderlichen Standards. Wieder einmal zeigt sich: Freiwillig kommen Unternehmen ihrer Verantwortung nicht ausreichend nach. Bisher müssen Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihrer Lieferkette keine rechtliche Verantwortung übernehmen. Das ist nicht länger hinnehmbar!

Das Kolpingwerk Deutschland sowie KOLPING INTERNATIONAL haben sich deshalb der „Initiative Lieferkettengesetz“ angeschlossen, einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis von zahlreichen Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und kirchlichen Akteuren, das sich im September 2019 gegründet hat. Das Bündnis fordert ein wirksames Lieferkettengesetz, denn Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, müssen dafür haften. Im September 2019 hat die Initiative eine gemeinsame Petition gestartet, die mittlerweile über 220.000 Menschen unterzeichnet haben. Denn skrupellose oder unbedarfte Geschäftspraktiken dürfen sich nicht länger lohnen. Deswegen muss die Regierung jetzt handeln und damit ihre Zusage aus dem Koalitionsvertrag umsetzen.

Der Bundesvorstand des Kolpingwerkes Deutschland begrüßt deshalb die Ankündigung der Bundesminister Gerd Müller und Hubertus Heil, einen Entwurf für ein Lieferkettengesetz vorzulegen. Die im Juni 2020 bekannt gewordenen Eckpunkte für das Gesetz der beiden Bundesministerien bilden eine wichtige Grundlage für den anstehenden Gesetzgebungsprozess. Wir appellieren an Wirtschaftsminister Peter Altmaier, dass er sich nicht länger gegen ein solches Gesetz stellt, sondern sich, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, ebenfalls dafür einsetzt.

Ein Lieferkettengesetz ist längst überfällig, wie etwa das Beispiel der global agierenden Textilindustrie zeigt. In diesem Segment profitieren Unternehmen aus dem globalen Norden von der Ausbeutung der ArbeiterInnen im globalen Süden. Verantwortung für die miserablen Arbeits- und Sicherheitsbedingungen wollen die Betriebe jedoch nicht übernehmen. Im September 2012 starben bei einem Brand in einer Textilfabrik in Pakistan 258 Menschen. Mindestens 32 wurden verletzt. Die ArbeiterInnen erstickten oder verbrannten, weil viele Fenster vergittert, Feuerlöscher defekt und Notausgänge verschlossen waren. Wichtigster Kunde der Fabrik war ein großes deutsches Textilunternehmen, das dort bis zu 75% der Produktion kaufte. Für seine Mitverantwortung am mangelnden Brandschutz und damit am Tod von 258 Menschen wurde das Unternehmen nie verurteilt.

Nach Angaben des Entwicklungsministeriums ist keine große Industrienation so intensiv in internationale Lieferketten eingebunden wie Deutschland. Damit einher geht eine sozialethische Verantwortung, die eine internationale Dimension hat.

Damit ein Lieferkettengesetz wirkt, muss es eine zivilrechtliche Haftung ermöglichen, wenn ein Schaden eingetreten ist und es muss Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen im Ausland die Möglichkeit geben, von Unternehmen vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen, wenn sie keine angemessenen Sorgfaltsmaßnahmen ergriffen haben. Sorgfaltspflicht bedeutet, dass Unternehmen ihre eigene Verantwortung anerkennen, Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden innerhalb der Lieferkette ermitteln, vorbeugende und wirksame Beschwerdemechanismen einrichten und transparent über Fortschritte informieren und berichten. Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die solche Mechanismen in ihre Geschäftspraxis integrieren, auch deutlich weniger Schäden zu beklagen haben.

Um Betroffene darin zu unterstützen, Schäden in einem fremden Rechtssystem geltend zu machen, muss ein wirksames Lieferkettengesetz eine Beweislastumkehr vorsehen. Diese verpflichtet Unternehmen dazu, die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten zu beweisen. Die Einhaltung muss von staatlicher Seite sichergestellt werden. Unternehmen, die diese Vorgaben missachten, müssen sanktioniert werden, etwa durch hohe Bußgelder oder den Ausschluss der Unternehmen von öffentlichen Aufträgen und der Außenwirtschaftsförderung.

Der Bundesvorstand fordert ein Gesetz, dass nicht nur für die ganz großen Unternehmen gilt. Es muss mindestens für alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden gelten und in Sektoren mit großen Menschenrechtsrisiken – etwa der Textilbranche, der Auto- oder Chemieindustrie – auch noch kleinere Unternehmen ins Auge fassen.

Erst eine gesetzliche Regelung schafft gleiche Produktionsbedingungen für alle Unternehmen und garantiert somit Wettbewerbsgleichheit. Denn die bisherige freiwillige Selbstverpflichtung erwirkt genau das Gegenteil: Aktuell haben diejenigen Unternehmen, die sich nicht an den Standards orientieren und diese unterlaufen, einen Wettbewerbsvorteil bei den Produktionskosten. Im Ergebnis führt das zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen. Das ist sowohl wettbewerbsverzerrend als auch sozialethisch verwerflich.

Das Kolpingwerk begrüßt deshalb auch die Initiative der Bundesregierung, sich im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft für einen EU-Aktionsplan zur Stärkung der Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten einzusetzen, der menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards und Transparenz fördert und sicherstellt. Ein deutsches Lieferkettengesetz würde helfen, den Prozess auf europäischer Ebene voranzutreiben und aktiv mitzugestalten. Wir fordern deshalb, dass es noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird.

Ulrich Vollmer, Bundessekretär
Für den Bundesvorstand
Frankfurt, 28./29. August 2020

 

Fachliche Ansprechpartnerin:

Larissa Florysiak
Kolpingwerk Deutschland
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