Es ist paradox: Die gesellschaftliche Stimmung im Hinblick auf das Thema Organspende ist fast durchweg positiv. So zeigt eine aktuelle Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dass rund 81 Prozent der Menschen in Deutschland prinzipiell über eine Organspende nachdenken würden. Trotzdem hat die Zahl der Organspender im vergangenen Jahr einen neuen Tiefpunkt erreicht. Laut der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) gab es bundesweit gerade einmal 797 Spender – das sind weniger als 10 Spender pro eine Million Einwohner.

Auch in der Kolpingjugend haben wir eine kleine Online-Umfrage gestartet, um ein erstes Stimmungsbild einzufangen. Dabei hat die überwältigende Mehrheit von 94 Prozent angegeben, Organspende positiv zu beurteilen. Beim eigenen Wissensstand zum Thema sieht es dann aber schon schlechter aus. So fühlen sich 22 Prozent der Befragten eher schlecht informiert. Als sehr gut informiert würden sich demgegenüber nur 14 Prozent bezeichnen. Kann es also sein, dass Zweifel und Ängste vor allem durch mangelnde Aufklärung entstehen?

„Ich habe einen Organspendeausweis, der in meinem Geldbeutel rumfliegt. Der ist aber noch nicht ausgefüllt, obwohl ich das schon öfter angehen wollte“, erzählt zum Beispiel Susanne Jantzer aus dem DV Würzburg. „Ich stehe mitten im Leben. Da denke ich ehrlich gesagt nicht viel darüber nach, was wäre, wenn ich mal einen schlimmen Unfall hätte“, so die 23-Jährige. Da komme sie an eine Grenze der Vorstellungskraft.

An ein einprägsames Schlüsselerlebnis zum Thema Organspende kann sich Susanne nicht erinnern. Seitdem sie jedoch vor zwei Jahren eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin am Uniklinikum Würzburg angefangen hat, gibt es viele Berührungspunkte: „Wir sind eines von bundesweit rund 50 Transplantationszentren, und da komme ich des Öfteren mit betroffenen Menschen in Kontakt.“ Auf der einen Seite meint sie damit vor allem Menschen auf der Warteliste, die nachts um drei Uhr in der Notaufnahme erscheinen, weil sie das schrille Geräusch ihres Piepsers über einen potentiellen Spender informiert hat.

Auf der anderen Seite erinnert sich Susanne aber auch an einen Moment auf der Intensivstation: „Noch heute sehe ich die Eltern am Bett ihrer 20-jährigen Tochter stehen, als der Arzt ihnen sagt, dass sie nie wieder aufwachen wird.“ Die Verzweiflung im Raum sei damals spürbar gewesen, denn für Angehörige ist eine solche Nachricht oft schwer zu akzeptieren. Schließlich sieht es so aus, als würde der geliebte Mensch nur schlafen. „Das liegt daran, dass trotz Eintreten des Hirntodes Herz- und Kreislauffunktionen maschinell aufrechterhalten werden, um weiterhin für eine Durchblutung der Organe zu sorgen“, so Susanne.

„Im Angesicht dieser Trauer dann noch nach einer möglichen Organspende fragen zu müssen, ist schrecklich und auch für das Personal im Krankenhaus wahnsinnig schwer.“ Aus medizinischer Perspektive sei es jedoch notwendig, so schnell wie möglich zu reagieren. Wenn Susanne den Organspendeausweis ausfüllt, dann vor allem um ihren Eltern und dem Partner diese schwere Entscheidung zu ersparen.

Viele Angehörige haben da weniger Glück, denn das in Deutschland geltende Transplantationsgesetz sieht die sogenannte Entscheidungslösung vor: Wenn zu Lebzeiten kein Organspendeausweis ausgefüllt wurde, sind im Zweifelsfall die Angehörigen in der Pflicht. Für Lukas Speichert ist deshalb die Selbstbestimmung auch über den Tod hinaus ein wichtiges Argument für den Organspendeausweis: „Viele wissen nicht, dass man sich damit auch gegen die Entnahme von Organen und Gewebe entscheiden oder bestimmte Organe von der Spende konkret ausschließen kann.“

Aufklärung ist dem 21-Jährigen deshalb enorm wichtig. Durch sein Medizinstudium an der Uni Duisburg- Essen ist er Teil einer deutschlandweiten Initiative geworden, die sich ehrenamtlich für mehr objektive Information zum Thema einsetzt. So informiert „Aufklärung Organspende“ beispielsweise über das System hinter der Organspende: Für die Koordination entsprechender Prozesse ist hierzulande die Deutsche Stiftung Organspende (DSO) zuständig. Sie unterstützt beispielsweise das Krankenhauspersonal und begleitet betroffene Angehörige. Verantwortlich für die Vermittlung der gemeldeten Organe aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Slowenien, Kroatien und Ungarn ist wiederum Eurotransplant. „Innerhalb dieses Verbundes haben Patienten größere Chancen, ein immunologisch passendes Organ zu bekommen“, erklärt dazu Birgit Blome von der DSO. Trotzdem erhalte Deutschland die meisten Organe und profitiere daher am stärksten.

Die gesetzliche Regelung in Deutschland findet Lukas ethisch richtig: „Es sollte eine individuelle Entscheidung bleiben. Anders als zum Beispiel in Frankreich, wo laut der Widerspruchslösung jeder Bürger pauschal als Organspender gilt, solange er zu Lebzeiten nicht aktiv widersprochen hat.“ Halte man an der deutschen Lösung fest, müsse jedoch sichergestellt sein, dass junge Menschen regelmäßig mit dem Thema konfrontiert werden. Ein wegweisender Moment für seine eigene Entscheidung pro Organspende sei beispielsweise das Kennenlernen eines Menschen mit Spenderorgan gewesen. „Die Menschen starten in ein neues Leben ganz ohne Leidensdruck und müssen beispielsweise nicht mehr zur Dialyse.“

Ein eindrückliches Beispiel für dieses neue Leben liefert Norbert Longerich: „Vor meinem Herzinfarkt im Jahr 2012 hatte ich einen tollen Alltag, mochte meinen Job und war sehr sportlich.“ Doch beim Marathontraining mit einem Arbeitskollegen änderte sich für den damals 52-Jährigen aus der Nähe von Düsseldorf dann schlagartig alles. „Der Kollege reagierte schnell, trotzdem konnten im Krankenhaus nur sieben Prozent Herzleistung gerettet werden.“ Von nun an war Norbert auf ein sogenanntes Herzunterstützungssystem angewiesen: „Ich hatte mich mental schon verabschiedet, die Herzpumpe war meine Brücke zum Leben.“

Bei der OP am Herzen erlitt Norbert einen Schlaganfall und erblindete vorübergehend. Trotzdem verbesserte sich mithilfe der Pumpe sein Zustand und er konnte sogar wieder administrative Aufgaben in der Feuerwache übernehmen. Dennoch lastete ein hoher körperlicher und seelischer Druck auf ihm. „Ohne Pumpe kein Leben. Ich musste meinen Alltag gut organisieren und hatte sogar ein Notstromaggregat.“ Nach zweieinzweieinhalb Jahren dann die nächste Komplikation: Die Herzpumpe kam durch eine Thrombose komplett zum Stehen. Für die Ärzte war damals klar: So kann es nicht weitergehen. Norbert erhielt den „High Urgent“-Status, rutschte in der Warteliste für eine Herztransplantation nach ganz oben und durfte das Krankenhaus drei Monate lang nicht verlassen. „In der Silvesternacht 2015 fing dann mein Leben neu an“, erzählt er rückblickend.

Nach der Transplantation setzte er sich neue Ziele, ging in Vorruhestand und macht seither nur noch Dinge, die ihm Spaß und Freude bereiten. Dazu zählt beispielsweise seine Arbeit als Freelancer, aber auch das ehrenamtliche Engagement in einer Selbsthilfegruppe. „Ich wusste nach der Transplantation nicht wie es weitergeht – wie ich mich richtig ernähre oder dass ich Menschenmengen am besten meide, wenn gerade eine Grippewelle im Umlauf ist.“ Mit diesem Wissen möchte er nun Patienten vor und nach der Transplantation unterstützen – sozusagen als kleines Dankeschön für die neue Chance im Leben.

„Ich weiß schließlich, dass die erste Zeit eine richtige Tortur ist. Man wird auf Medikamente eingestellt, auf die man den Rest des Lebens angewiesen ist“. So darf das Immunsystem im Vergleich zu einem kerngesunden Menschen nur zu 50 Prozent arbeiten, weil sonst das neue Organ vom Körper abgestoßen würde. Trotz einiger Einschränkungen im Alltag merkt man Norbert seine Lebensfreude förmlich an. „Wenn ich fürsorglich mit dem Organ umgehe, kann ich damit alt werden“, versichert er. Hier sieht er eine moralische Verpflichtung – dem Spender und seinen Angehörigen gegenüber: „Ich konnte mich in einem Brief bei der Familie bedanken, jedoch sehen deutsche Gesetze es leider nicht vor, in direkten Kontakt mit den Hinterbliebenen zu treten.“

Eine moralische Komponente beim Thema Organspende sieht derweil auch Lukas: „Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der EKD haben eine Erklärung veröffentlicht, die Organspende als Akt der Nächstenliebe und Zeichen der Solidarisierung mit den Kranken bezeichnet.“ So glaube er daran, dass nur die Seele in das Reich Gottes aufsteigt. „Meinen Körper und meine Organe brauche ich dafür nicht.“ Susanne sieht das ähnlich: „Selbst wenn man nicht nach christlichem Verständnis an das ewige Leben glaubt, kann man seinem Tod so noch einen kleinen Sinn geben.“ Meist würden durch eine Organspende sogar gleich mehrere Menschenleben gerettet.

Trotzdem haben viele Menschen nach wie vor teils nachvollziehbare Ängste und Zweifel, wenn es um Organspende geht. Unsere Umfrage innerhalb der Kolpingjugend zeigt beispielsweise die Furcht vor mangelnder medizinischer Versorgung von Menschen mit Organspendeausweis. „Dazu kann ich nur sagen: Jeder bei uns im Krankenhaus tut absolut alles dafür, ein Leben aufrecht zu erhalten. Selbst wenn die Situation aussichtslos ist, wird kein Menschenleben leichtfertig aufgegeben“, entgegnet Susanne. Grund für die bestehende Skepsis sind dabei vor allem die Skandale der vergangenen Jahre. „Doch das waren vor allem Verteilungsskandale. Eine falsche Hirntoddiagnostik ist nach dem heutigen Standard nicht möglich“, erklärt Lukas. Trotzdem hätte sicherlich mehr dafür getan werden können, das System für die Zukunft transparenter zu machen.

Auch Norbert hat eine Erklärung dafür, dass sich nicht viele junge Menschen aktiv mit Organspende auseinandersetzen: „In Deutschland stehen Konsum und Spaß an erster Stelle. Da will sich niemand mit der eigenen Sterblichkeit beschäftigen. Die ist tabu.“ Mit 16 Jahren wäre ihm das selber auch so gegangen. Trotzdem hat seiner Meinung nach auch das System eine Mitschuld an der schlechten Statistik: „Deutsche Kliniken bekommen pauschal 3.500 Euro für die Entnahme von Organen, was viel zu wenig ist. Selbst in wirtschaftlich weitaus schlechter aufgestellten Ländern wie Slowenien ist man da besser aufgestellt.“ Das führe im schlimmsten Fall dazu, dass potentielle Organspender gar nicht erst gemeldet werden.

Auch die DSO sieht Hemmnisse auf Ebene der Krankenhäuser: „Gemeinsame Analysen haben gezeigt, dass zu wenig an die Möglichkeit einer Organspende gedacht wird, wenn bei einem Patienten keine Überlebenschance mehr besteht“, so Birgit Blome. Auch die Arbeitsverdichtung auf Intensivstationen sei hierbei ausschlaggebend.

Egal ob man sich nun für oder gegen Organspende ausspricht, einig sind sich Susanne, Lukas und Norbert vor allem in einem Punkt: Wichtig ist es in erster Linie, aktiv eine Entscheidung zu treffen! „Und diese mit Familie und Freunden zu besprechen“, ergänzt Susanne. Denn so stellt man sicher, dass der persönliche Wunsch im Zweifelsfall auch respektiert wird. „Außerdem wird man zum Multiplikator und kann so auch andere zum Nachdenken über Organspende bringen“, fügt Lukas hinzu. Und das wäre doch in jeder Hinsicht wünschenswert.

Text: Franziska Völlinger


Susanne Jantzer (23) ist Diözesanleiterin der Kolpingjugend im DV Würzburg und macht eine Ausbildung zur Krankenpflegerin: „Ich finde es wunderbar, dass die Medizin mittlerweile soweit ist, dass man Menschen helfen kann, die meistens gar nichts dafür können, dass ein Organ nicht mehr richtig funktioniert.“

Lukas Speichert (21) ist angehender Arzt und hat großes Vertrauen in die deutschen Standards zur Feststellung des Hirntods. „Die sind hierzulande viel strenger als anderswo.“ Hirntot bedeute, dass kein Leben mehr möglich ist.


Eine neue Chance

Kommentar von Bundesjugendsekretärin Magdalene Paul

Eigentlich ist es doch ganz einfach: Wer davon überzeugt ist, seinen Mitmenschen zu helfen, sollte auch über das Thema Organspende gut nachdenken. Ich jedenfalls empfinde es als ein sehr wichtiges Thema – insbesondere für junge Menschen. Mit meinem Organspendeausweis kann ich selbstbestimmt über meine Organe verfügen. Ich empfinde es sogar als meine christliche Pflicht, nach meinem Tod Menschen eine neue Chance aufs Leben zu ermöglichen. Als Christen sind wir nicht nur für uns selbst da, sondern immer auch für andere. Die Möglichkeit, im Krankheitsfall ein Organ zu empfangen oder selbst ein Organ zu spenden, ist Ausdruck von Nächstenliebe und Solidarität. Man  muss es aber auch immer mit dem eignen Gewissen vereinbaren können. Dass das Vertrauen in die Organspende durch verschiedene Vorfälle gelitten hat, ist sehr schade. Es bleibt zu hoffen, dass die im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbarte organisatorische Verbesserung in den Kliniken nun bald umgesetzt wird. Denn eine Organspende ist für viele kranke Menschen die letzte Hoffnung. Ich möchte junge Menschen dazu ermutigen, sich bewusst mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ob es dann darin mündet, einen Organspendeausweis auszufüllen, ist und bleibt eine freiwillige und individuelle Entscheidung.


Wie war das nochmal?

Birgit Blome von der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) beantwortet die Fragen der XMAG-Redaktion.

Nach welchen Kriterien werden Organspende-Wartelisten erstellt?
Die Bundesärztekammer hat für jedes Organ eigene Richtlinien erstellt, nach denen Ärzte entscheiden, ob Patienten auf die Warteliste aufgenommen werden können oder abgelehnt werden. Bei der Organvermittlung stehen die beiden Kriterien Dringlichkeit und Erfolgsaussicht im Vordergrund.

Wer bezahlt die Organspende?
Die Kosten für Organspende und Transplantation werden durch die Krankenkassen getragen. Die Finanzierung ist in verschiedene Bereiche unterteilt. Ein Beispiel: Die Entnahmekrankenhäuser erhalten je nach Umfang der Organspende eine Erstattungspauschale über die DSO ausgezahlt. Die DSO bekommt dafür jährlich Geld von den Sozialversicherungsträgern der Empfänger zur Verfügung gestellt.

Wie sicher ist in Deutschland die Feststellung des Hirntodes?
Die Diagnose des sogenannten unumkehrbaren Hirnfunktionsausfalls gilt als eine der sichersten Diagnosen in der Medizin. Die Untersuchungen werden von zwei Ärzten unabhängig voneinander durchgeführt und protokolliert. Diese beiden Ärzte dürfen weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe des Organspenders in irgendeiner Form beteiligt sein.

Dürfen auch Menschen mit Behinderung Organe spenden?
Eine Behinderung ist kein Ausschlusskriterium für eine Organspende. Eine Organentnahme wird nur ausgeschlossen, wenn beim Verstorbenen eine akute maligne Tumorerkrankung oder ein positiver HIV-Befund vorliegen. Bei anderen Erkrankungen entscheiden die Ärzte nach vorliegenden Befunden, ob eine Organentnahme möglich ist.


Fotos: Privat, Pixabay, www.organspende-info.de