Für das Kolpingwerk besteht die Herausforderung darin, in Kenntnis einer komplexen Wirklichkeit das Leitbild der auf Ehe gegründeten Familie hochzuhalten, gleichzeitig aber die Menschen mit ihren sehr unterschiedlichen Lebenswegen und Wertvorstellungen vor dem Hintergrund des christlichen Gottes- und Menschenbildes anzunehmen und wo nötig Unterstützung anzubieten.“
„Auch wenn die vor Gott und den Menschen geschlossene Ehe nach unserem Verständnis die beste Voraussetzung für das Gelingen von Familie ist, so dürfen wir auch bei Kolping die beschriebenen Veränderungsprozesse in der Gesellschaft nicht außer Acht lassen.“
Beide Zitate stammen nicht aus einer Reaktion auf den Beschluss des Deutschen Bundestages, eine „Ehe für alle“ einzuführen, sondern sind einem Grundlagentext entnommen, den der Bundeshauptausschuss des Kolpingwerkes bereits im Jahr 2009 in Paderborn beschloss. Der Grundlagentext signalisiert: Schwarz-Weiß-Denken ist nicht unser Stil, und das Urteilen über andere Menschen schon gar nicht. Gleichzeitig bleibt der Verband seinen Grundsätzen treu.
So fiel auch die Reaktion des Bundesvorstandes auf die Entscheidung des Bundestages im Sommer aus, gleichgeschlechtliche Partnerschaften der Ehe völlig gleichzustellen, wenn die Beteiligten das wünschen und füreinander Verantwortung übernehmen.
Der Bundesvorstand des Kolpingwerkes hat nach ausführlicher und kontrovers geführter Diskussion – mit Verständnis für unterschiedliche Positionen – mehrheitlich festgestellt: Mit der Entscheidung des Bundestages wurde das Verständnis von Ehe – nicht nur aus christlicher Überzeugung – als Lebens- und Liebesgemeinschaft von Frau und Mann als prinzipiell lebenslange Verbindung mit der grundsätzlichen Offenheit für die Weitergabe von Leben – aufgegeben.
Die Verbandsleitung bedauert diese Entscheidung des Bundestages. Dadurch werde ein von den Mitgliederndes Parlamentarischen Rates im Grundgesetz festgeschriebener Ehebegriff, der auf der christlichen Auffassung von Ehe basiert, aufgelöst, erklärte das verbandliche Leitungsorgan.
Der Bundesvorstand weist darauf hin: Homosexuelle Paare können seit dem 1. August 2001 vor dem Standesamt eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen. Sie bekommen damit der Ehe ähnliche Rechte und Pflichten – beispielsweise in Erbangelegenheiten und bei Unterhaltszahlungen. „Sie tragen füreinander Verantwortung“, steht im Gesetzestext. Schrittweise wurden die Rechte für eingetragene Lebenspartnerschaften seitdem erweitert, aufgrund von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
"Nach unserem Verständnis ist die vor Gott und den Menschen geschlossene Ehe die beste Voraussetzung für das Gelingen von Familie." (Leitbild, Ziffer 80)
Schon vor Jahren hat das Kolpingwerk deutlich gemacht, dass auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Werte wie Treue, Verlässlichkeit und Fürsorge gelebt und weitergegeben werden.
Das Kolpingwerk sieht bei der Neuregelung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken und kritisiert, dass diese wichtige gesellschaftspolitische Grundentscheidung in einem verkürzten parlamentarischen Verfahren getroffen wurde. Es spreche durchaus einiges dafür, dass durch die vorgenommene Gesetzesänderung das Ehegrundrecht verletzt werde. So habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unlängst klargestellt, dass in der Europäischen Menschenrechtskonvention unter dem Begriff „Ehe“ ausschließlich die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau gemeint sei.
Auf dieser Überlegung fußend hätte sich das Kolpingwerk einen Weg vorstellen können, der der eingetragenen Lebenspartnerschaftden Rang eines Rechtsinstituts im Rahmen der Verfassung einräumt. Dies könnte beispielsweise dadurch geschehen, im geltenden Artikel 6 des Grundgesetzes nachdem Absatz 1 „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ einen Absatz 1a) einzufügen, der lautet: „Der Schutz der staatlichen Ordnung gilt auch für eingetragene Lebenspartnerschaften im Sinne des Artikels 17b) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB)“. Damit hätte der Staat nach wie vor die Verpflichtung, sowohl die Ehe als auch die eingetragene Partnerschaft zu schützen und zu fördern, betonte der Bundesvorstand.
Eine Unterscheidung zwischen Ehe und einem Rechtsinstitut für eingetragene Partnerschaften bedeute keine Diskriminierung. Ganz im Gegenteil werde damit der Unterschiedlichkeit von gleichwertigen Lebensformen angemessen Rechnung getragen.
Der Bundesvorstand des Kolpingwerkes Deutschland befindet sich mit seiner Stellungnahme auf einer gemeinsamen Linie mit anderen katholischen Verbänden. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, erklärte: „Für mich sind beide Rechtsinstitute trotz der hohen Wertschätzung, die ihnen zuteil wird, nicht identisch. Ich halte es für richtig, weiter einen begrifflichen Unterschied zu machen.“ Ähnlich äußerten sich der Präsident des Familienbundes der Katholiken, Stefan Becker, und die Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft, Mechthild Heil.
Zustimmung für die umstrittene Entscheidung des Bundestages gab es bei der Bundesleitung der Kolpingjugend, die erklärte: „Wir freuen uns über die Entscheidung des Bundestags zur „Ehe für alle“! …Wenn zwei Menschen sich lieben und füreinander sorgen möchten, und dies ihr Leben lang gemeinsam tun möchten, ist es Ehe. Und die verdient in jedem Fall die gesellschaftliche und staatliche Anerkennung.“ Die „Ehe für alle“ sei ein „Zeichen einer toleranten Gesellschaft in Deutschland“.
Ausschlaggebend für die Einschätzungen ist jeweils der Bewertungsmaßstab. Die katholische Kirche lehnt die „Ehe für alle“ ab, weil sie der Glaubenslehre widerspricht. Der Vorsitzende der Kommission für Ehe und Familie der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Heiner Koch (Berlin), kritisierte, dass „der Gesetzgeber wesentliche Inhalte des Ehebegriffs aufgegeben hat, um ihn für gleichgeschlechtliche Partnerschaften passend zu machen. Gleichzeitig bedauere ich, dass mit dem heutigen Beschluss eine differenzierte Wahrnehmung unterschiedlicher Partnerschaftsformen aufgegeben wird, um die Wertschätzung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften hervorzuheben.“ Die katholische Kirche müsse sich nun verstärkt der Herausforderung stellen, „die Lebenskraft des katholischen Eheverständnisses überzeugend zu verdeutlichen“. Der sakramentale Charakter des katholischen Eheverständnisses bleibe von der Entscheidung im Deutschen Bundestag unberührt. Der Erzbischof fügte hinzu, die deutschen Bischöfe betrachteten die Ehe als lebenslange Verbindung von einem Mann und einer Frau mit prinzipieller Offenheit für die Weitergabe von Leben. Sie sei also weit mehr als eine öffentlich anerkannte Solidargemeinschaft von zwei Personen.
Dieses Eheverständnis ist weit älter als das staatliche, das sich erst vor rund 200 Jahren mit der Einführung der Zivilehe entwickelte. Die christliche Sichtweise gründet bereits auf dem mehr als 3.000 Jahre alten jüdischen Erbe: Bereits im zweiten Kapitel des Alten Testamentes wird darüber berichtet, wie Gott die Menschen als Mann und Frau erschuf und ihnen den Auftrag gab, das Leben an ihre Kinder weiterzugeben.
Damit wird der Bogen zur staatsrechtlichen Sichtweise geschlagen, denn laut Grundgesetz genießt die Ehe einen besonderen staatlichen Schutz. Sie ist nicht nur die älteste und wichtigste Institution der Menschheit und weltweit kulturübergreifend verbreitet; sie garantiert auch das Fortbestehen der Gesellschaft, da in der Regel die nachfolgende Generation aus ihr hervorgeht. Gleichgeschlechtlichen Verbindungen fehlt diese natürliche Fähigkeit. Der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera, Professor am Institut für Biologie der Universität Kassel, drückte diesen Unterschied mit drastischen Worten aus: „Der Staat hat nichts davon, wenn er sterile Homo-Pärchen privilegiert, denn die Rente dieser Menschen muss von den Kindern aus fertilen Mann-Frau-Ehen aufgebracht werden – eine Ungerechtigkeit ersten Ranges.“
Mit jahrzehntelanger Beständigkeit hat das Bundesverfassungsgericht die Ehe als die Verbindung von einem Mann und einer Frau zu einer grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft definiert. Besonders deutlich hat das höchste deutsche Gericht diese Sichtweise vor 15 Jahren bekräftigt, als es die Verfassungsmäßigkeit des Lebenspartnerschaftsgesetzes prüfte und bestätigte. In seinem Urteil hieß es: „Allerdings kann die Ehe nur mit einem Partner des jeweils anderen Geschlechts geschlossen werden, da ihr als Wesensmerkmal die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner innewohnt (vgl. BVerfGE 10, 59 [66]) und sich nur hierauf das Recht der Eheschließungsfreiheit bezieht. Gleichgeschlechtlichen Paaren bleibt auch nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz die Ehe verschlossen. Ihnen wird für eine dauerhafte Bindung als Rechtsinstitut allein die eingetragene Lebenspartnerschaft eröffnet.“ In der Rechtswissenschaft wird deshalb überwiegend die Ansicht vertreten, dass eine Grundgesetzänderung nötig gewesen wäre, um die „Ehe für alle“ verfassungskonform einzuführen.
"Kolping respektiert die persönliche Wahl der Lebensform, sieht aber die Familie als den Grundbaustein der Gesellschaft an." (Leitbild, Ziffer 81)
Die Aufweichung des Ehebegriffes „für alle“ weckt zudem Befürchtungen, dass es auf Dauer nicht allein bei einer Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Verbindungen bleibt. Die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer, ist die prominenteste Persönlichkeit, die eine solche Sorge öffentlich äußert. Ihre Warnungen davor, dass demnächst auch „eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen“ unter den Begriff der „Ehe für alle“fallen könnten, stieß auf teils heftige Kritik. Sie wurde als homophob und menschenverachtend bezeichnet.
Allerdings scheint die von ihr zur Sprache gebrachte Sorge nicht ganz unberechtigt. Die Süddeutsche Zeitung (SZ.de vom 30. Juni) schrieb: „Die Fragen werden kommen: Warum soll nicht das Brüderpaar heiraten und sich um adoptierte Kinder kümmern? Warum nicht die beiden lesbischen Frauen und der Mann, der biologischer Vater ihres Kindes ist – und wenn ja, warum nicht der Muslim und seine beiden Frauen? Die Abgrenzungsdebatten und die Frage, was denn nun die Natur der Ehe ist, wird auch die Ehe für alle nicht loswerden. Es werden sich die Debatten verschärfen, die schon jetzt ums Kinderkriegen jenseits der natürlichen Zeugung kreisen.“
Auch politisch ist die Diskussion noch nicht beendet. Die Grüne Jugend will die Ehe durch einen Familienvertrag ersetzen und erklärt: „Die Ehe für alle wird in Deutschland kommen. Aber das bedeutet überhaupt nicht, dass unsere Visionen einer offenen und vielfältigen Gesellschaft Realität geworden sind.“
Text: Martin Grünewald
Bild/Fotos: pixabay.com, Barbara Bechtloff


Kommentar
Ernst Joßberger, Mitglied des Bundesvorstandes und Bürgermeister der Gemeinde Güntersleben
Pro & Contra: „Ehe für alle“ gibt volle Anerkennung und nimmt anderen nichts
Konfrontiert mit der Gesetzesänderung haben wir es uns im Bundesvorstand mit einer Stellungnahme zu dieser auch für das Kolpingwerk bedeutsamen Thematik nicht leicht gemacht. Ich trage diese Entscheidung mit; dabei war und ist mir bei der inhaltlichen Auseinandersetzung eine differenzierte Sichtweise wichtig. Meine Argumentation: Die Ehe für alle nimmt den heterosexuellen Ehen nichts und gibt den homosexuellen Paaren die volle Anerkennung ihres Jawortes zueinander.
Gemessen am historischen Moment und an der Bedeutung der grundlegenden Änderung durch dieses Gesetz kann man selbstverständlich das parlamentarische Schnellverfahren kritisieren. Eine gut vorbereitete Parlamentsdebatte, in der das Für und Wider in der angemessenen Tiefe noch einmal intensiv debattiert wurde, hätte man sich schon gewünscht. So überraschend die Abstimmung gekommen ist, wurde eine kontroverse Auseinandersetzung allerdings doch schon seit längerer Zeit geführt.
Ich meine, wenn sich zwei Menschen entschließen, ihren Lebensweg künftig gemeinsam miteinander zu gehen, dann kommt ihre Entscheidung aus Zuneigung, Vertrauen, Verlässlichkeit, sie wird von gegenseitiger Liebe getragen. Entspricht es nicht dem Wesen des Menschen – ob Frau, ob Mann –, dass er sich nach verlässlicher Partnerschaft sehnt? Wenn er dann seine Beziehung auf dem Standesamt mit allen Rechten und Pflichten verbindlich machen möchte, warum soll ich dann als Standesbeamter/Bürgermeister zwischen zwei unterschiedlichen Formen der Verbindung für das Paar wählen müssen, deren rechtliche Folgen im Ergebnis praktisch gleich sind?
Mir ist bewusst, dass das Grundgesetz gebietet, Ehe und Familie zu schützen. Ich kann mit der Gesetzesentscheidung aber nicht erkennen, was den herkömmlichen Ehen durch die Öffnung für Ehepaare zwischen Mann und Mann bzw. zwischen Frau und Frau genommen wird. Unbestritten, die Verfassungsgeber gingen 1949 beider Ehe von der Verbindung zwischen Mann und Frau aus. Aber muss das ewig gelten, oder ist das wandelbar, wie sich das Familienbild und -recht in den letzten Jahrzehnten insgesamt gewandelt und weiterentwickelt haben?
Mir ist ebenfalls bewusst, dass die Antworten auf diese Fragen nicht einfach sind und nicht den Weg der Beliebigkeit eröffnen dürfen. Ich kann gut verstehen, dass die vielfältigen Veränderungen in der Gesellschaft und aktuell für viele Menschen auch das Unbehagen an dem neuen Gesetz auslösen und verunsichern. Diese Sorgen muss man ernst nehmen. Und deswegen sollte auch das Verfassungsgericht das beschlossene Gesetz der „Ehe für alle“ prüfen, auch um der Rechtssicherheit willen, die solche Verbindungen brauchen und um mögliche Zweifel daran auszuräumen, welche Formen des Zusammenlebens unsere Rechts- und Verfassungsordnung anerkennen kann.
Für mich bedeutet „Ehe für alle“ allerdings nicht Ehe für alle (Möglichkeiten), sondern ist klar auf die Zweierbeziehung nicht verwandter Menschen begrenzt. Dass sich Mann und Frau verbinden und Kinder zeugen, soll auch weiterhin das Leitbild sein. Wir müssen jedoch auch zur Kenntnis nehmen, wie sehr sich im Bereich von Ehe und Familie, Kinderwunsch und Kindererziehung und von Zusammenleben in verlässlicher Partnerschaft vieles verändert hat.
Ich erinnere daran, dass es gerade 40 Jahre her ist, dass beispielsweise eine Frau ohne Zustimmung ihres Ehemannes einen Arbeitsvertrag abschließen kann und dass der Name des Mannes nicht automatisch gemeinsamer Familienname wird. Seit vier Jahrzehnten maßt sich der Gesetzgeber nicht mehr an, den Schuldigen an einer Trennung zu benennen, und nun verzichtet er darauf, die sexuelle Orientierung zum Kriterium dafür zu benennen, ob zwei Menschen heiraten dürfen. Er beschränkt sich nun darauf, den entsprechenden Rechtsrahmen zu setzen. Diesen Rahmen füllen die Eheleute selber aus in ihrem Zusammenleben, das sie in ihrer Liebe zusammengeführt hat, egal ob in homo- oder heterosexueller Partnerschaft.
Auch als Christen in einem katholischen Verband muss für uns die Sehnsucht nach partnerschaftlicher Gemeinschaft eine Herzensangelegenheit sein. Deshalb tat ich mir auch schwer mit einer früheren Aussage von Papst Benedikt XVI., wenn er die Homo-Ehe als „Zerstörung von Gotteswerk“ bezeichnet. Warum soll ich annehmen, dass Homosexualität der Natur des Menschen widerspricht und dass Lebenspartnerschaft von Schwulen und Lesben einen unaufhebbaren Makel haben soll, wenn sich die Partner lieben und achten? Ich kann nicht glauben, dass Gottes gute Schöpfung daran zugrunde gehen soll, wenn sich in Deutschland eine vergleichsweise überschaubare Zahl von schwulen und lesbischen Paaren das Jawort fürs Leben gibt.
Hoffungsvoll stimmen mich die Antworten von Kardinal Reinhard Marx, die er jüngst in einem Zeitungsgespräch auf die Frage gegeben hat, warum er sich zur Ehe für alle eher verhalten äußere: ...„Die jetzt gefundene Regelung definiert Ehe anders, als das bis jetzt auch im Grundgesetz angelegt war. Das ist also nicht nur eine katholische Position. .... Bei dem jetzigen Gesetz geht es um die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und nicht für Verwandte oder drei, vier Personen. Ich verstehe diese Sorgen, aber man sollte nicht gleich einen Dammbruch heraufbeschwören. Übrigens sollte man bei dieser Gelegenheit durchaus daran erinnern, dass wir als Kirche nicht unbedingt Vorreiter waren, was die Rechte von Homosexuellen angeht“ (Main Post vom 21. Juli 2017).
Mich hat zum Kolpingwerk geführt, dass Adolph Kolping zuerst den einzelnen Menschen in seiner Art und Besonderheit gesehen hat. Sein konsequentes Eintreten für die Menschen und die Veränderung der Lebensbedingungen haben nicht selten auch Widerstände in Gesellschaft und Kirche ausgelöst. Auch im Kolpingwerk müssen wir uns mit den Problemen der Menschen und den Fragen der Zeit auseinandersetzen, ohne dabei unreflektiert dem Zeitgeist zu folgen.
Ich kann verstehen, dass sich viele Kolpingmitglieder an meiner Position reiben werden. Ich selbst lebe übrigens glücklich in einer heterosexuellen Partnerschaft. Jedoch gehört es zum Grundverständnis unseres Verbandes, Verständnis für andere Meinungen aufzubringen und in einem respektvollen Umgang die unterschiedlichen Argumente auszutauschen und wenn nötig auch kontroverse Positionen auszuhalten.

Kommentar
Thomas Dörflinger, MdB, Bundesvorsitzender Kolpingwerk Deutschland
Pro & Contra: Es geht nicht um Wertigkeit, sondern um vorhandene Unterschiede
Schon 2009 hat der Bundeshauptausschuss des Kolpingwerkes Deutschland zutreffend festgestellt, dass auch in anderen Lebensgemeinschaften als der Ehe Werte gelebt werden, die es anzuerkennen gelte. Diese verbandliche Positionierung fußt auf dem Leitbild des Kolpingwerkes, wo es in Ziffer 81 heißt: „Nach unserem Verständnis ist die vor Gott und den Menschen geschlossene Ehe die beste Voraussetzung für das Gelingen von Familie. Kolping respektiert die persönliche Wahl der Lebensform, sieht aber die Familie als den Grundbaustein der Gesellschaft an.“
Man mag aus der Tatsache, dass die Forderung nach Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare gut 30 mal auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages gestanden hat, schließen, dass der Entscheidung des Parlaments eine breite gesellschaftliche Debatte vorangegangen wäre. Diese Debatte hat aber nach meinem Dafürhalten nicht stattgefunden. Sie scheiterte nicht nur an den parlamentarischen Mehrheiten; sie fand auch deswegen nicht statt, weil sich die katholische Kirche in die Auseinandersetzung erst zu einem Zeitpunkt eingeschaltet hat, als die Entscheidung im Parlament so gut wie feststand.
Warum gibt es überhaupt die Ehe? Die Herleitung aus dem christlich-jüdischen Verständnis ist ebenso wie die prominente Platzierung des Begriffs im Grundgesetz nur eine Erklärung, aber keine Begründung. Letztlich leitet sich die Ehe erstens aus der biologischen Tatsache ab, dass ein Mann und eine Frau miteinander ein Kind zeugen (können) und zweitens aus der naturrechtlichen Überlegung, dass die beiden Menschen nicht nur für die Zeugung, sondern auch das Aufwachsen ihres Nachwuchses miteinander Verantwortung tragen. Die neuerdings angestellte Überlegung, der Staat honoriere im Rechtsinstitut der Ehe die Verantwortungsgemeinschaft von zwei Menschen füreinander, greift hier deutlich zu kurz. Es gibt nämlich keinerlei Begründung, weshalb diese Verantwortungsgemeinschaft auf zwei Personen beschränkt bleiben muss und nicht auch von drei oder mehr Personen gelebt werden könnte.
Der Verweis auf die biologische Herkunft des Kindes wird heutzutage gerne als biologistisch denunziert. Dies ist genauso wenig überzeugend wie wenn man eine mathematische Tatsache als mathematistisch oder ein physikalisches Faktum als physikalistisch bezeichnen würde. An naturwissenschaftlichen Fakten kommt bis zum Beweis ihres Gegenteils kein Mensch herum. Selbst die künstliche Befruchtung kommt nicht ohne eine Minimalmitwirkung des Menschen aus. Rein technisch wären heute auch andere Formen der Fortpflanzung denkbar, aber ich denke nicht, dass jemand jene Art der Repoduktion, wie sie z. B. Aldous Huxley 1932 in „Brave New World“ beschrieben hat, für eine gute Zukunftsvision hielte, auch oder gerade weil dies unter dem Stichwort „ungeschlechtliche Fortpflanzung“ heute schon ernsthaft diskutiert wird.
Kern der Ehe ist die Weitergabe des Lebens in einer Gemeinschaft von Mann und Frau. Dass es seit langer Zeit auch Ehen gibt, die bewusst oder unbewusst kinderlos bleiben, ändert an dieser Tatsache genauso wenig der Umstand, dass die Weitergabe des Lebens auch in eheähnlichen Partnerschaften erfolgt, die im rechtlichen Sinne keine Ehe sind. Auch wenn die theologische Dimension in der Beratung im säkularen Staat keine Bedeutung entfaltet, ist sie für uns als katholischer Sozialverband nicht unerheblich. Der Theologe Eberhard Schockenhoff verweist zu Recht darauf, dass die katholische Ehe auf vier unverrückbaren Pfeilern ruhe: Freiheit, Treue, Unauflöslichkeit und Fruchtbarkeit im sozialen wie biologischen Sinn. Von diesen vier Punkten vermag die Ehe zwischen Mann und Frau alle, die Partnerschaft zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern aber nur drei von vier zu erfüllen. Folglich sind Ehe und gleichgeschlechtliche Partnerschaft etwas Verschiedenes, was über ihre Wertigkeit wiederum keinerlei Aussage macht.
Selbst wenn die theologische Dimension für die staatliche Entscheidung unerheblich ist, fällt doch auf, dass die weltliche Gerichtsbarkeit sich mindestens bislang in fast gleicher Weise einlässt. Nach herrschender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Ehe „eine auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss beruhende, gleichberechtigte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, deren Übereinstimmung durch staatlichen Mitwirkungsakt festgestellt wird“ (BVerf-GE 105, 313 (345)). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGhMR) stellt in seiner Entscheidung in der Rechtssache Chapin und Charpentier gg. Frankreich (Beschw. Nr. 40183/07) klar, dass in der Europäischen Menschenrechtskonvention unter dem Begriff „Ehe“ ausschließlich die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau gemeint ist. Verschiedenartig muss nicht zwangsläufig verschiedenwertig heißen. Insofern hätte es dem Gesetzgeber offen gestanden, der eingetragenen Lebenspartnerschaft Verfassungsrang einzuräumen, ohne sie mit der Ehe gleichzustellen. Der mehrheitlich getroffene Beschluss des Kolping-Bundesvorstandes greift hier zu Recht einen Vorschlag auf, den auch Erwin Teufel, Bernhard Vogel und Norbert Lammert schon einmal unterbreitet hatten.
Es geht letztlich in der ganzen Debatte um den Ehebegriff nicht darum, dass jemand etwas nicht gegönnt, dass jemand gezielt benachteiligt würde oder gar darum, dass jemand ein vermeintlich archaisch anmutendes Gesellschaftsbild in die Zukunft zu retten versucht. Im Kern geht es darum, und deshalb erfolgte im Deutschen Bundestag mein „Nein“, dass der Gesetzgeber durch diese Entscheidung aus den genannten Gründen vermutlich schon in Bälde rechtliche Folgewirkungen auslöst, die selbst von der Mehrheit ihrer Befürworter vermutlich nicht gewollt worden sind. Wenn dem Ehebegriff das Ausschließlichkeitsmerkmal „Weitergabe des Lebens“ durch die Gleichstellung mit anderen Partnerschaften genommen wird, gibt es keine Begründung mehr, weshalb so genannte polyamore Lebens- und Liebesgemeinschaften nicht auch den Schutz der staatlichen Ordnung erhalten sollten. Ob dies im Sinne der Eltern des Grundgesetzes ist, darf man auch 67 Jahre nach dem Inkrafttreten unserer Verfassung mit Fug und Recht bezweifeln. Wer dann noch behauptet, verfassungsrechtliche Begriffe würden durch eine gesellschaftspolitische Diskussion quasi in einem fließenden Prozess von selbst verändert, braucht wohl in Zukunft auch kein Verfassungsgericht mehr. Der Rechtsbegriff wird so zur Verfügungsmasse des Zeitgeistes.