Seit seiner Einführung im Jahr 2015 wird der gesetzliche Mindestlohn weitestgehend positiv bewertet. Mit einer Höhe von 8,50€ sorgte er seinerzeit dafür, dass mehr als vier Millionen Beschäftigte im Niedriglohnbereich eine höhere Vergütung für ihre Arbeitsleistung erhielten. In Deutschland liegt der Mindestlohn inzwischen bei 12,82€ pro Stunde. Der deutliche Anstieg innerhalb von zehn Jahren täuscht allerdings über die Tatsache hinweg, dass die gesetzliche Lohnuntergrenze noch immer nicht für ein armutsfestes Lohnniveau sorgt. Die entsprechende Schwelle liegt nach internationaler Definition bei einem Wert von 60 Prozent der mittleren Einkommen.
Durch die Anpassung der bisherigen Geschäftsordnung zur Erhöhung des Mindestlohns wird dieser von nun an nicht mehr ausschließlich auf Basis der Bruttotariflöhne angehoben. In Zukunft soll die Erreichung der 60%-Schwelle ebenso Berücksichtigung finden. Damit greift die Mindestlohnkommission einen Referenzwert aus der EU-Richtlinie zur Festsetzung nationaler Mindestlöhne auf, die 2022 beschlossen wurde. KOLPING hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr aufgefordert, die Richtlinie in Bundesrecht zu überführen, was bis zum Ablauf der Frist im November jedoch nicht geschah. Nun hat die verantwortliche Kommission, die sich paritätisch aus Vertreter*innen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften zusammensetzt, eine Anpassung vorgenommen.
„Mit Blick auf die nächste Sitzung der Kommission, die spätestens im Juni tagt, gehen wir von einer deutlichen Erhöhung der gesetzlichen Lohnuntergrenze aus“, erklärt Alexander Suchomsky, Referent für Arbeit, Gesellschaft und Soziales beim Kolpingwerk Deutschland. Die Mindestlohnkommission stelle die Erreichung der Armutsschwelle zwar unter den Vorbehalt, dass diese nur angesichts einer Gesamtabwägung erfolgen könne, die besondere ökonomische Umstände berücksichtigt. Insofern werde die Mindestlohnkommission im Hinblick auf die aktuelle wirtschaftliche Lage sicherlich sensibel agieren. Langfristig führe an der Erreichung der 60%-Schwelle aber kein Weg mehr vorbei, betont Suchomsky. Dies sei ein wichtiger Schritt. Schließlich wirkten sich armutsfeste Löhne auch auf die spätere Höhe der individuellen Rente aus. „Niedriglöhne haben niedrige Renten zufolge, die häufig ergänzende Sozialleistungen und damit eine zusätzliche Belastung der Steuerzahler*innen nach sich ziehen. Ein armutsfester Mindestlohn kann also eine ganze Reihe von Problemen lösen, die erst auf den zweiten Blick miteinander zusammenhängen.“ Angesichts einer derzeit gedämpften Konsumbereitschaft in der Bevölkerung wirke sich ein steigender Mindestlohn außerdem positiv auf die Binnennachfrage aus.
Die EU-Richtlinie sieht ferner eine Berücksichtigung der Kaufkraft im Verhältnis zur Inflation, wie auch eine Orientierung des gesetzlichen Mindestlohns an der steigenden gesamtwirtschaftlichen Produktivität vor. Angesichts einer deutlich gestiegenen Inflation in den letzten beiden Jahren wurde von der SPD bis zur christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) das bisherige Verfahren zur Erhöhung des Mindestlohns kritisiert. Auch KOLPING hatte mehrfach Anstoß genommen und auf die im Jahr 2022 verabschiedete EU-Mindestlohnrichtlinie verwiesen.
Aktuell bestehen in 22 der 27 EU-Mitgliedsstaaten gesetzliche Mindestlohnregelungen. In Skandinavien und Österreich liegen aufgrund einer weiten Verbreitung von Tarifverträgen keine flächendeckenden gesetzlichen Regelungen vor. Im Laufe des Jahres wird ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs über die Zulässigkeit der EU-Richtlinie erwartet. Die Regierung Dänemarks sieht in dieser einen Eingriff in die Tarifautonomie der Mitgliedsstaaten und hatte Klage eingereicht.
Die ursprüngliche Aufforderung von Kolping an die Bundesregierung unter folgendem Link.