„Wer bin ich, wer bist du?“ sind Fragen, die wohl fast jedem Menschen irgendwann kommen. Darin geht es um die tiefere Wahrheit einer Person und nicht um die Abfrage von Ausweis-daten. Die wichtigste Frage im ganzen Evangelium lautet: Wer ist dieser Jesus eigentlich? Ein Handwerker aus Nazareth – ein Wanderprediger – ein Träumer – ein Prophet?
Jesus stellt die Frage an seine Jünger: „Für wen halten mich die Menschen?“ Also: Was denkt und spricht man über mich? Wer bin ich nach Meinung der Leute? Die zweite Frage richtet Jesus direkt an die Jünger: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“
Petrus macht sich zum Sprecher aller und legt das großartige Bekenntnis ab: „Du bist der Christus!“ Christus ist ein Hoheitstitel. Er bedeutet: der von Gott Gesalbte, der Messias, derjenige, der von Gott kommt und der das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes aufrichten wird.
Petrus wirkt hier wie der Musterschüler. Er, der Sprecher weiß wohl als einziger unter diesen Jüngern wirklich, wer dieser Jesus ist und was er für das Volk bedeutet. Doch kurz darauf bekommt Petrus einen Rüffel, der nicht schärfer sein könnte: „Tritt hinter mich du Satan! Denn du hast nicht im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen." Was ist da schiefgelaufen? Reagiert da Jesus nicht ein bisschen ungerecht? Wie soll man das verstehen?
Die Enthüllung Jesu, dass der Menschensohn leiden wird, dass der ersehnte Christus verraten und getötet werden wird, diese Enthüllung widerspricht den Hoffnungen und den Sehgewohnheiten der Jünger und auch der Volksmenge. Petrus, der Jesus gerade noch mit einem der höchsten Ehrentitel bedacht hatte, muss lernen, dass dieser Titel nicht für ein Türschild und eine Visitenkarte gedacht ist und zum Ehrenabzeichen taugt. Die hoheitlichen Zuschreibungen (Christus, Menschensohn, Sohn Gottes, Heiliger Gottes, König der Juden), die Jesus im Laufe des Evangeliums entgegengebracht werden oder auch von ihm selbst benutzt werden, sind noch keine wirklichen Beschreibungen für den Auftrag Jesu.
Petrus möchte einen Messias, einen Christus nach seinen eigenen Vorstellungen haben. Einen erfolgreichen, starken, anerkannten Christus, nicht einen, der abgelehnt und verfolgt wird, der leiden muss, der am Kreuz einen schändlichen Verbrechertod stirbt. Und deshalb bekommt Petrus den Rüffel.
Wir können Petrus gut verstehen. Sein Wunsch von einem starken Messias ist keine Ausnahme, das steckt in uns allen. Wir haben alle ein Bild im Kopf, bewusst oder unbewusst, eine Meinung über Jesus, die über einen längeren Zeitraum entstanden ist. Aber Jesus durchkreuzt unsere Vorstellungen von Gott und vom Heil, er erfüllt nicht unsere mitgebrachten Bilder und Erwartungen, er ist ganz anders. Die Gegenwart Gottes in der Welt verbirgt sich in einer schwachen menschlichen Gestalt, im Leid, im Kreuz.
Und Jesus geht noch weiter. Er gibt den Jüngern und uns klar zu verstehen:
Es geht nicht nur darum, dass ihr akzeptieren müsst, dass ich anders bin, als ihr es gedacht habt, dass ich nicht dafür da bin, um eure Wünsche zu erfüllen und eurem Bild zu entsprechen, sondern wenn ihr zu mir gehören wollt, dann musst ihr bereit sein, diesen Weg in die Tiefe mitzugehen, bereit sein, alles zurückzustellen und eventuell zu verlieren. Ihr müsst bereit sein, aus Liebe zu Gott und zu den Menschen alles hinzugeben.
Diese Botschaft Jesu ist eine Provokation, bis heute. Und Petrus reagiert so, wie vielleicht viele im ersten Moment reagieren wollen, die die ganze Tragweite der Botschaft das erste Mal realisieren. Denn wer dieser Botschaft folgt, der macht die Regeln neu. Der verzichtet aufs Herrschen und geht den Weg durch Anfeindung und Bedrängnis, um für die Botschaft und das Leben, das Gott schenken will, alles zu riskieren.
Diese Worte Jesu können wirklich erschrecken, und widersprechen jeder vordergründigen menschlichen Logik des Lebens. Sie sind trotzdem keine Drohbotschaft, sondern Jesus beschreibt die Dynamiken, mit denen ein Mensch, der sich ganz auf das Leben einlassen und sich auf Gott ausrichten will, zu rechnen hat.
Und da gibt es eben diese merk-würdige Erfahrung, dass im Loslassen für das Leben, für Gott und sein Evangelium neues Leben liegt.
Somit sind es wahrlich keine Drohworte, sondern eine Verheißung, eine Einladung, die eigenen Lebensanstrengungen zu relativieren und ganz auf Jesus zu setzen.